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Seit Tagen steht das Handelsgeschehen am Schweizer Aktienmarkt im Zeichen des grossen Derivatverfalls. So wechselten am Mittwochnachmittag mal eben schnell 2,45 Millionen Novartis-Aktien mit einem Verkehrswert von 193 Millionen Franken in einer ausserbörslichen einzigen Blocktransaktion die Hand. Doch auch bei anderen Valoren aus dem Swiss Market Index (SMI) gingen im Vorfeld ausserbörsliche Blöcke in zwei oder gar dreistelliger Millionenhöhe um – so beispielsweise bei Roche, Zurich Insurance und Nestlé.

Alteingesessene Börsenfüchse wissen, dass die Karten oft um oder unmittelbar nach einen grossen Verfall neu gemischt werden. Die kommende Woche dürfte uns deshalb einen ersten Vorgeschmack auf das geben, was uns in den darauffolgenden Monaten an den Aktienmärkten erwarten könnte. Ich erhoffe mir im Anschluss an den grossen Derivatverfall wichtige Antworten auf die Frage, ob man als Anleger nun auf Wachstums- oder Substanzwerte setzen soll.

Überschattet wurden die neuen Indexrekorde dies- und jenseits des grossen Teichs von der Greensill-Affäre. Ja, die Finanzwelt hat einen neuen Skandal. Mal wieder, ist man versucht zu sagen. Der Kollaps des Hedgefonds LTCM, der Untergang der amerikanischen Investmentbank Lehman Bros oder die kriminellen Machenschaften des Bernhard Madoff liegen zwar schon eine ganze Weile zurück. Allerdings sind die Folgen teils heute noch spürbar.

Zugegeben: So richtig will sich die Greensill-Affäre nicht in diese Abfolge von Grossereignissen reihen. Und dennoch gibt es gewisse Parallelen zu damals – beispielsweise, dass unter den Opfern zahlreiche deutsche Bundesländer und Kommunen zu finden sind. Das Land Thüringen ist mit 50 Millionen Euro bei Greensill engagiert, die drei hessischen Ortschaften Eschborn, Wiesbaden und Schwalbach gesamthaft sogar mit fast 75 Millionen Euro. Wie das Manager Magazin schreibt, sitzen sie im selben Boot mit den deutschen Kreditinstituten Deutsche Bank und Commerzbank. Den beiden Grossbanken werden Investitionen in Höhe von jeweils 200 bis 300 Millionen Euro nachgesagt.

Noch lässt sich nicht abschätzen, wie hoch die Verluste sein werden, welche der öffentlichen Hand in Deutschland drohen. Auf der Jagd nach Rendite scheint den Entscheidungsträgern einmal mehr der Verstand ausgesetzt zu haben. Das Ganze erinnert mich ein bisschen an die schmerzhaften Verluste mit verbrieften Ramschhypotheken von einst. Es ist ein Déjà-vu, wie man es sich als Steuerzahler eigentlich nicht wünschen würde.

Anders als damals tragen die Zentralbanken eine Mitschuld. Mit ihrer "Politik des billigen Geldes" setzen sie an den Finanzmärkten die Preisgestaltung weitestgehend ausser Kraft. Ich muss wohl niemandem erzählen, dass man als Anleger schon eine ganze Weile nicht mehr vernünftig für Risiken entschädigt wird. Um bei Festverzinslichen überhaupt noch positive Renditen erzielen zu können, muss man sich entweder auf mehrere Jahrzehnte hinaus binden, oder aber bei der Schuldnerqualität ziemliche Abstriche machen. Beides birgt – so wissen wir – nicht zu unterschätzende Gefahren.

Ich gehe sogar soweit und behaupte, dass vielen Anlegern in den letzten Jahren ihr Gespür für Risiken völlig abhanden gekommen ist. Mir wurde vor über drei Jahrzehnten einst schon in der Lehre eingetrichtert: There is no free lunch – keine Rendite ohne entsprechendes Risiko. Die Zentralbanken werden es schon richten, würde es heute wohl heissen. Doch was ist, wenn der Zeitpunkt kommt, an dem die Zentralbanken es richten möchten, aber nicht länger können...?

Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was kommen könnte, bekam diese Woche der amerikanische Notenbankchef "Jay" Powell. Mittwochnacht unserer Zeit trat er den steigenden Zinsen einmal mehr wortgewandt entgegen. Und tatsächlich entfaltete die Beruhigungspille zunächst die erhoffte Wirkung. Die Rendite zehnjähriger amerikanischer Staatsanleihen fiel zurück. Doch die Ruhe sollte sich als trügerisch erweisen. Keine 24 Stunden später zog die Rendite bereits wieder kräftig an und erreichte in der Spitze vorübergehend 1,75 Prozent.

Ich hielt erst kürzlich fest:

In Expertenkreisen ist übrigens ein Streit entbrannt, ab wann der jüngste Renditeanstieg denn nun eigentlich zur Gefahr für die Aktienmärkte wird. Die einen sagen bei einer Rendite zehnjähriger amerikanischer Staatsanleihen von 1,75 Prozent oder mehr, die anderen spätestens ab 2 Prozent. Meine Vermutung: Ohne Interventionen der amerikanischen Zentralbank werden wir es wohl schon bald einmal erfahren.

Kommen wir nun aber zum hiesigen Börsengeschehen und damit zur Credit Suisse. Mittendrin im Greensill-Sumpf ist– wie könnte es anders sein – auch sie. Oder besser gesagt die Investoren von vier von der Grossbank aufgelegten und im Zuge der Affäre mittlerweile geschlossenen Supply Chain Finance Fonds.

Angesichts der damit verbundenen Negativpresse sah sich Firmenchef Thomas Gottstein vor wenigen Tagen am Rande eines Zwischenberichts zum Tagesgeschäft zu einer Stellungnahme veranlasst. Vom Kredit in Höhe von 140 Millionen Dollar habe Greensill frühzeitig 50 Millionen Dollar zurückbezahlt, so liess sich einer Mitteilung an die Medien entnehmen. Darüber hinaus schliesst die Grossbank allerdings nicht aus, dass ihr aus der Fondsschliessung weitere Kosten erwachsen könnten.

Die Aussagen zum Tagesgeschäft sind hingegen erfreulich. Dass das erste Quartal für die Credit Suisse saisonal betrachtet als das stärkste des ganzen Jahres gilt, ist weitreichend bekannt. Dennoch scheint gerade das Investment Banking die Kassen der Grossbank kräftig klingeln zu lassen.

Umso mehr entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass der Zwischenbericht der Credit Suisse den Aktien von UBS und Julius Bär an diesem Tag mehr half als den eigenen. Das dürfte sich Firmenchef Thomas Gottstein rückblickend wohl etwas anders vorgestellt haben.

Seine Aussagen an der diesjährigen Morgan Stanley European Financials Conference deckten sich tags darauf weitestgehend mit den zuvor in der Medienmitteilung gemachten. Auch Philipp Rickenbacher von Julius Bär sprach an der Konferenz und konnte allem Anschein nach überzeugen.

Angelsächsische Käufe liessen den Kurs der Julius-Bär-Aktien in der Spitze in die Nähe von 61 Franken und damit auf den höchsten Stand in der Firmengeschichte steigen. Dass der Zürcher Bank gerüchteweise ein Interesse an der irländischen Finanzboutique Davy nachgesagt wird, dürfte ebenfalls geholfen haben.

Sowieso ist das Handelsgeschehen ungewohnt spekulationsgetrieben. Beim Fondsanbieter GAM ist gerüchteweise von grösseren Verschiebungen im Aktionariat die Rede, beim Pumpenbauer Sulzer sowie beim Industriekonzern ABB dreht sich hingegen alles um eine mögliche Abspaltung von Geschäftsbereichen und bei Zurich Insurance hofft man auf ein neues Aktienrückkaufprogramm. Und selbst die Credit Suisse rückte ins Zentrum von Mutmassungen, nachdem die Grossbank das Asset Management im Zuge der Greensill-Affäre wieder aus dem Wealth Management ausgliederte und mit einer neuen personellen Spitze versah. Einige Beobachter sehen darin nämlich einen ersten Schritt in Richtung einer Abspaltung oder einer Verschmelzung mit ähnlich gelagerten Geschäftsaktivitäten eines Rivalen.

Ob diese geballte Ladung an Spekulationen auf eine Überhitzung hindeutet und zur Vorsicht mahnt? Ich weiss es nicht. Vielleicht sind wir diesbezüglich ja schon kommenden Freitag ein bisschen schlauer, wenn es wieder heisst: Die Börsenwoche im Schnelldurchlauf.

 

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