Er ballt die Faust, er ruft den rechtsradikalen Trommlern und Pfeifern im Hintergrund entgegen, dass er sich nicht stören lasse - Olaf Scholz steht auf der Bühne des Dresdener Schlossplatzes und kämpft. Offiziell ist dies der Auftakt für den Landtagswahlkampf der SPD Sachsen. Aber der 66-Jährige kämpft auch für sich selbst. Gut ein Jahr vor dem regulären Termin der nächsten Bundestagswahl muss der Kanzler Zuversicht und Entschlossenheit vermitteln, dass er nicht nur der starke Kanzler, sondern auch der Mann der Zukunft der SPD ist. Einfach ist dies nicht. Denn nach knapp zweieinhalb Jahren Kanzlerschaft zeigen Umfragen, dass es wachsende Zweifel gibt - auch in der eigenen Partei.

Die SPD dümpelt bei Zustimmungswerten von 15 Prozent herum. Noch schlimmer für Scholz: Seine eigenen Werte sind nach einem Anfangshoch in der Legislaturperiode für einen Kanzler konstant schwach. Regelmässig liegt er bei der Popularität auch hinter seinem mutmasslichen Herausforderer, CDU-Chef Friedrich Merz.

«Alles kein Problem», heisst es bei seinen engen Vertrauten. Auch bei seiner Ausrufung zum SPD-Kanzlerkandidaten 2019 seien die Werte schlecht gewesen. Noch Ende Juli 2021 hatten die Sozialdemokraten mit 16 Prozent laut Forschungsgruppe Wahlen klar hinter CDU und CSU mit 28 Prozent gelegen. Im Endspurt sei die SPD mit Scholz aber doch vor der zerstrittenen Union mit Armin Laschet und den Grünen mit Annalena Baerbock gelandet. Diesen Endspurt werde es auch 2025 geben. «Am Ende schauen Wählerinnen und Wähler stärker, wen sie wirklich als Kanzler wollen», heisst es im Kanzleramt zur Beruhigung der nervösen SPD.

Die Problemfälle häufen sich

Allerdings teilen nicht alle diesen Optimismus. In Umfragen traut nur eine Minderheit der Wähler Scholz zu, das Ruder noch einmal herumreissen zu können. Dies liegt daran, dass er weiter Kanzler einer als zerstritten wahrgenommenen Ampel-Koalition mit Grünen und FDP bleibt und keine «Basta»-Entscheidungen treffen kann. Auch nach der Regierungseinigung über den Haushalt 2025 zeigten sich in einer Ipsos-Erhebung 53 Prozent der Deutschen deshalb sehr unzufrieden mit der Arbeit des Regierungschefs, nur zwölf Prozent waren mit Scholz sehr zufrieden. Der Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Peter Matuschek, verweist auf ein anderes Problem und die schwierige Vergleichbarkeit mit 2021: «Das Bild von Scholz ist heute gefestigt. Es ist schwer zu sagen, was passieren müsste, damit sich dies noch einmal ändert», sagt er zu Reuters. Ampel-Beschlüsse wie das Heizungsgesetz, das Bürgergeld oder die teilweise Cannabis-Legalisierung hängen den Sozialdemokraten laut Umfragen zudem wie Klötze am Bein.

Zwar scherzen führende Sozial- und Christdemokraten, dass auch CDU-Chef Merz immer wieder gut für Fehler im Wahlkampf sei. Aber bedenklich für Scholz ist, dass zwei Drittel der von Forsa befragten SPD-Mitglieder ebenfalls nicht glauben, dass die SPD 2025 wieder stärkste Partei wird. Besonders gross ist die Skepsis bei der ostdeutschen SPD mit 71 Prozent.

Septemberschock - und schwierige Ukraine-Politik

Das verweist auf das nächste Problem: Die SPD steht wie wahrscheinlich alle Ampel-Parteien vor einem schlechten Abschneiden bei den drei ostdeutschen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. In Parteikreisen ist bereits von einem bevorstehenden «September-Schock» die Rede, der die Sozialdemokraten noch nervöser machen könnte. Es droht, dass die SPD in Sachsen nicht einmal mehr in den Landtag kommt.

Das Sonderproblem für den Kanzler: Die Ukraine-Politik gilt mittlerweile parteiübergreifend als Haupt-Stimmungsmacher bei den Ost-Wahlen. Und Scholz kann sich hier wenig bewegen: Er will und muss an der entschiedenen militärischen Unterstützung der Ukraine festhalten. Aber gerade das BSW gibt sich als «Friedenspartei», die Warnung vor einer zu grossen Moskau-Nähe von BSW und AfD verfangen in Ostdeutschland offenbar nicht.

Scholz versuchte deshalb bei der Wahlveranstaltung in Dresden, eine sanftere Tonlage anzuschlagen. Er redete nicht von Waffenlieferungen und betonte, dass es gut sei, wenn auch Russland zu der nächsten Ukraine-Friedenskonferenz eingeladen würde. Aber BSW und AfD können als Radikal-Opposition ohne Regierungsverantwortung einfachere Positionen verkaufen. «Dass Verteidigungsminister Boris Pistorius von 'Kriegstüchtigkeit' sprach, kostet uns ebenfalls Stimmen», klagt ein SPD-Wahlkämpfer gegenüber Reuters - weshalb Pistorius übrigens gerade im Osten überhaupt nicht als Alternative zu Scholz gesehen wird. Ohnehin hatte die SPD-Spitze das Thema eines Austauschs der Kanzlerkandidaten längst abgeräumt.

Partner kommen abhanden, Wirtschaft lahmt

Dazu kommt, dass Scholz wichtige Partner abhandenkommen. Der Kanzler kann nur so stark erscheinen wie die Allianzen, die er schmieden kann. In Deutschland wird die Ampel nicht mehr als «Aufbruch» und «Fortschritt» wahrgenommen. In Europa steht sein wichtigster Partner, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron unter Druck. In den USA kandidiert Präsident Joe Biden, ein enger Vertrauter, nicht wieder - und es ist unklar, ob dessen Vize Kamala Harris gegen den Republikaner Donald Trump gewinnen kann.

Dazu kommt das labile Verhältnis von Scholz zur Wirtschaft. Zwar hatte Industrieverbandspräsident Siegfried Russwurm für seine Bemerkung von «zwei verlorenen Jahren» der Ampel auch intern Rüffel eingesteckt. Aber Scholz hatte schon mehrfach einen wirtschaftlichen Aufschwung verkündet, der dann nicht kam. Der Kanzler räumt selbst ein, dass man erst in etlichen Jahren sagen könne, ob der gigantische Umbau Deutschlands in eine klimafreundliche Wasserstoffwirtschaft wirklich gelungen ist. Das stimmt zwar. Aber es löst bei den Deutschen, die sich traditionell nach Sicherheit sehnen, offenbar Verunsicherung aus - und nicht die vom Kanzler immer wieder angemahnte Zuversicht.

Ohne Scholz namentlich zu nennen, warf Ifo-Präsident Clemens Fuest der Ampel-Regierung zudem vor, fälschlicherweise einen Boom durch den Umbau der Wirtschaft versprochen zu haben. «Das ist schlicht falsch», sagte Fuest. «Da hat man der Bevölkerung was vorgemacht und das rächt sich jetzt.»

Aufgeben will Scholz deshalb noch lange nicht, zumal er immer wieder beklagt, dass man bei aller Kritik die Errungenschaften seiner Kanzlerschaft nicht sehe - von der Krisenbewältigung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, den Umbau der Gasversorgung bis hin zu einem modernen Zuwanderungsrecht. Nun ruht die Hoffnung von Scholz darauf, dass zumindest in der zweiten Hälfte ein leichter wirtschaftlicher Aufschwung kommt, der dem Staat mehr Geld in die Kassen spült - und die Stimmung auch für den Kanzler dreht. 

(Reuters)