Mitten in der Corona-Krise entschied das Hollywood-Studio, die Realverfilmung des Zeichentrick-Klassikers gar nicht erst in die Kinos, sondern über den hauseigenen Streamingdienst direkt in die Wohnzimmer zu bringen. Für die Pandemie-geschädigten Kinobetreiber ein herber Schlag: "Das ist ein absoluter Schock. Auf den Film haben wir sehr gewartet", sagt Christian Bräuer, Geschäftsführer der Yorck-Kino-Gruppe in Berlin.
Wegen Corona blieben die Kinos wochenlang geschlossen und seit der Wiedereröffnung müssen die Säle wegen der Abstands- und Hygieneregeln halbleer bleiben. Und jetzt bleiben auch noch die Filme aus? Erst einmal eine corona-bedingte Entwicklung, sagt Kino-Analyst Thomas Beranek vom Marktbeobachter Gower Street. Aber Streamingdienste eröffneten für Filmstudios auch künftig Alternativen zur klassischen Kino-Verwertung.
Den Filmstart von "Mulan" verschob Disney wegen der Corona-Krise zunächst mehrmals. Anfang August kam dann die überraschende Entscheidung, "Mulan" nur in den Ländern in die Kinos zu bringen, wo der eigene Streamingdienst Disney+ nicht verfügbar ist. Überall sonst kann jeder Streaming-Abonnent das für 200 Millionen Dollar produzierte Werk für zusätzliche 21,99 Euro herunterladen - ein happiger Preis, aber immer noch billiger als ein Kinoabend mit der Familie. Die Kinobranche hofft darauf, dass dahinter kein Strategiewechsel steckt.
"Mulan ist nach unserem Kenntnisstand eine Einmalentscheidung und soll nicht wieder vorkommen", sagt der Deutschlandchef von Cinemaxx, Frank Thomsen, und verweist auf die Probleme des Branchenriesen. Disney hat wegen geschlossener Vergnügungsparks, verschobener Filmstarts und abgeblasener Sportveranstaltungen allein von April bis Juni 4,7 Milliarden Dollar Verlust gemacht und braucht dringend die Einnahmen aus dem Filmgeschäft.
Ohne Zuschauer keine Filme
Über viele Jahrzehnte spielten Filme ihre Produktionskosten mit einer etappenweisen Auswertung ein: Erst kamen sie in die Kinos, nach mehreren Monaten wurden sie als DVD verkauft, später liefen sie im Fernsehen. Dann kamen die Video-on-demand Angebote der Streamingdienste wie Netflix, Amazon oder Apple dazu. Bisher konnten Blockbuster-Filme dort frühestens etwa zwölf Wochen nach der Kinoauswertung gesehen werden. Doch Ende Juli vereinbarte die weltgrössten Kinokette AMC mit dem zu Comcast gehörenden Filmstudio Universal Pictures, dass Filme bereits nach drei exklusiven Kinowochen zum Download verfügbar sein dürfen. Auch das liess bei den Filmtheatern die Alarmglocken schrillen. Noch ist laut Kinoexperte Beranek unklar, wie es für das Kino in einer Welt nach Covid-19 weitergeht.
"Wir haben ein Henne-Ei-Problem: Die Kinos brauchen neue Filme und die Filme brauchen genügend Kapazitäten", sagt Martin Moszkowicz, Chef des deutschen Filmstudios Constantin Film, das Produktionen wie "Die unendliche Geschichte", "Der Name der Rose" und "Der Schuh des Manitu" herausgebracht hat. Wegen der Abstandsregeln könnten die Kinobetreiber im Schnitt nur einen von fünf Kinosesseln besetzten. Für viele Filmverleiher sei das zu wenig, da würden die Kinostarts lieber verschoben. Um überhaupt etwas zu erwirtschaften, habe Constantin Filme wie "Berlin, Berlin" und "Black Beauty" direkt an die Streaming Dienste gegeben, erläutert Moszkowicz. Ausschliesslich will er dies aber künftig nicht tun: "Einnahmen wie sie zum Beispiel unsere Kinoreihe 'Fack ju Göhte' gebracht hat, sind mit keinem Streamingmodell zu verdienen."
«Business-Class-Sitze» im Kinosaal
Trotz des Booms der Streamingdienste sagt Cinemaxx-Deutschlandchef Thomsen dem Kino keine düstere Zukunft voraus: "Das Kinoerlebnis unterscheidet sich vom Streaming, weil es eine gemeinsame Unternehmung ist und ein Eintauchen in andere Welten ermöglicht. Wo kommt man heutzutage noch zwei Stunden ohne das Smartphone aus?" Sein Kinobetreiber-Kollege Bräuer sieht das ähnlich. Streamingdienste seien nicht so sehr Rivalen des Kinos. "Sie richten sich eher gegen das Fernsehen und klassische Pay-TV-Anbieter." Eine im Februar veröffentlichte Studie von EY fand heraus, dass sich der Kino- und der Streamingkonsum nicht wirklich kannibalisieren: Menschen, die viele Filme streamen, gehen auch öfter ins Kino.
Das Streamen sehen die Kinobetreiber also nicht unbedingt als Bedrohung. Die Corona-Krise schon. "15 bis 20 Prozent der weltweiten Kinos werden zumachen oder anderweitig genutzt werden", prognostiziert der Chef von Constantin Film. Die Kinos steuern gegen: Cinemaxx will mit neuen Sitzen wie in der "Business Class des Flugzeugs" beim jungen Publikum punkten. Yorck-Betreiber Bräuer will seine 14 Programmkinos in der Hauptstadt "zur eigenen Marke" machen, hat dafür die digitale Kundenkommunikation ausgebaut und Abomodelle eingeführt. Er sagt aber auch: "Wir benötigen kontinuierlich staatliche Hilfen, um durch die Krise zu kommen."
(Reuters/cash)