Seit über 50 Jahren fliesst russisches Gas über die Ukraine bis in die Slowakei und weiter nach Österreich, wo es den Gas-Knotenpunkt Baumgarten erreicht. Doch zum Jahresende ist damit möglicherweise Schluss. Mit dem Auslaufen des Transitvertrags zwischen dem russischen Gasriesen Gazprom und dem ukrainischen Versorger Naftogaz Ende 2024 könnte diese letzte direkte Verbindung zwischen Russland und Mitteleuropa endgültig gekappt werden. Das hätte bedeutende Auswirkungen auf die Gasversorgung in Ländern wie Österreich, der Slowakei, Tschechien und Ungarn, die lange auf russische Lieferungen angewiesen waren. Zuletzt stammten zum Beispiel noch 89 Prozent des Gasbedarfs von Österreich aus Russland.

Österreich war das erste westeuropäische Land, das 1968 einen Gasliefervertrag mit Russland abschloss, und entwickelte sich zu einem wichtigen Hub in Mitteleuropa. Doch im Dezember beendete der teilstaatliche Öl- und Gaskonzern OMV die über 50-jährige Partnerschaft mit Gazprom und kündigte den Vertrag, der ursprünglich bis 2040 laufen sollte. Seit Mitte November hat die OMV kein Gas mehr von Gazprom erhalten - das Ergebnis eines Streits über ausgebliebene Gaslieferungen nach Deutschland im September 2022. Ein Schiedsgericht hatte der OMV Schadenersatz in Höhe von 230 Millionen Euro zugesprochen, den die OMV mit laufenden Gasrechnungen gegenrechnete. Gazprom stellte daraufhin die Lieferungen ein. Österreich erhält aber derzeit weiterhin Erdgas über die Ukraine, das am Central European Gas Hub (CEGH) in Baumgarten gehandelt wird. Auch die OMV könnte das russische Gas über diese Börse beziehen.

Gasspeicher zu mehr als 90 Prozent gefüllt

Sorgen um einen Gasmangel macht sich dennoch niemand, da sich das Land seit zwei Jahren auf einen möglichen Lieferstopp vorbereitet hat. «Unsere Energieversorgung ist gesichert, weil wir gut vorbereitet sind», betont Bundeskanzler Karl Nehammer. Der österreichischen Regulierungsbehörde E-Control zufolge ist die Versorgung auch für zwei kalte Winter gesichert. «Dieses Szenario, dass jemand erfrieren muss in Europa, das gibt es nicht», sagte Carola Millgramm, Leiterin der Gas-Abteilung bei der E-Control, im Dezember bei einem Energie-Round-Table.

Der Füllstand der österreichischen Gasspeicher liegt laut E-Control Mitte Dezember bei 82 Prozent, was rund 83 Terawattstunden (TWh) entspricht - mehr als der gesamte Gasverbrauch des vergangenen Jahres von 75 TWh. Das sei «nahezu einzigartig» in Europa, sagte E-Control-Vorstand Alfons Haber. Das gespeicherte Gas gehört teils heimischen Energieversorgern, die österreichische Endkunden beliefern, teils internationalen Gashändlern und Industriebetrieben. Für den Notfall stehen 20 TWh als strategische Gasreserve für österreichische Verbraucher bereit. Zudem kann Österreich Erdgas aus Nordafrika über Italien oder norwegisches Gas über Deutschland importieren. Die OMV hat eigene Förderstätten in Norwegen und kann sich zudem mit Flüssigerdgas (LNG) eindecken.

Auch die für das Gasnetz zuständige Austrian Gas Grid Management (AGGM) gibt Entwarnung: «Bei Kriegsausbruch in der Ukraine im Februar 2022 waren die Speicher nur zu 30 Prozent gefüllt - damals war es wirklich eine knappe Kiste», sagte Vorstand Bernhard Painz der Nachrichtenagentur Reuters. «Was mir heute mehr Sorgen bereitet, sind die hohen Preise», fügte er hinzu. Eine Prognose sei aber schwer, da es viel Irrationalität an den Märkten gebe. Preissprünge wie zum Höhepunkt der Gaskrise 2022 seien aber nicht zu erwarten.

Streitpunkt Gasspeicherumlage

Die AGGM befürchtet, dass die umstrittene deutsche Gasspeicherumlage den Transport unnötig verteuert. Diese Umlage für Transporte aus Deutschland steigt ab dem 1. Januar um knapp 20 Prozent auf 2,99 Euro je Megawattstunde (MWh). Die Maut, die während der Energiekrise eingeführt wurde, um die Kosten der Gasspeicherung in Deutschland auf die Nutzer umzulegen, sollte eigentlich zum Jahresende abgeschafft werden. Doch der geplante Beschluss im Bundestag verzögert sich aufgrund des Scheiterns der regierenden Ampel-Koalition. Österreich, Tschechien und die Slowakei drängen auf die schnelle Aufhebung der Abgabe.

Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler bezeichnete die Gasspeicherumlage auf der Plattform X als «Klotz am Bein auf dem Weg aus der Abhängigkeit von russischem Gas». Durch sie seien bereits Mehrkosten von 60 Millionen Euro entstanden. «Sollte das Ende der Abgabe weiter verschleppt werden, hat Österreich die Möglichkeit, vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen», warnte die Gründen-Politikerin.

Laut AGGM führe die Maut auch dazu, dass sich die Speicher schneller leerten. «Um die Speicher nicht mit Zeitdruck befüllen zu müssen, wäre es gut, wenn der Speicherstand nach dem Winter nicht bei unter 60 Prozent liegt», sagte Painz.

Unklar wie es weitergeht

Die Ukraine hat mehrfach erklärt, dass sie den Transitvertrag mit Russland nicht verlängern will. Experten spekulieren aber über eine Möglichkeit, dass doch noch Gas ab 2025 durch die Pipeline fliesst: Die Ukraine könnte über eine Buchungsplattform Transportkapazitäten für slowakische oder ungarische Händler anbieten, die russisches Gas kaufen. So könnte die Ukraine weiter von den Transitgebühren profitieren ohne direkt mit Gazprom Geschäfte zu machen. Die Slowakei hatte vor wenigen Tagen angekündigt, Gespräche führen zu wollen, um russische Gaslieferungen auch in Zukunft sicherzustellen. Das Land hat einen langfristigen Vertrag mit Gazprom und will die Importe aufrechterhalten. Klarheit dürfte es erst ein, zwei Tage vor dem Jahreswechsel geben. Denn dann ist an der russisch-ukrainischen Grenze zu sehen, wie viel Leitungskapazität für Gas gebucht wurde und ob diese zurückgeht.

«Beide Seiten – die Ukraine und Russland – haben ein wirtschaftliches Interesse daran, dass diese Transporte weiterlaufen», so AGGM-Vorstand Painz. Sollte die Infrastruktur nicht mehr genutzt werden, sei das Risiko gross, dass sie durch Kriegsaktionen zerstört werde. Allerdings könnte die Pipeline in Zukunft für den Transport von Biomethan oder Wasserstoff aus der Ukraine genutzt werden. Das wäre nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern würde auch einen Beitrag zur Energiewende leisten.

(Reuters)