Kritiker sagen, die Schweiz könne viel mehr tun. Russisches Vermögen im Wert von mehr als 200 Milliarden Dollar liegt angeblich bei Schweizer Banken. Wieviel davon unter die Sanktionen fällt, ist unklar. Erst vor etwas mehr als einem Monat gab die Schweiz wegen des Ukrainekriegs überraschend ihre Neutralität auf und erklärte ihre volle Unterstützung für die Massnahmen der EU gegen Wladimir Putins Russland.

«Kompletten Paradigmenwechsel»

Bislang hat sich die Regierung darauf verlassen, dass Banken die Gelder der sanktionierten Personen melden. Etwa 10 Immobilien wurden durch das Staatssekretariat für Wirtschaft, Seco, konfisziert, meldeten lokalen Medien. Führende Vertreter mitregierenden Sozialdemokraten sagen jedoch, dem Seco fehle es an den Mitteln, um die Sanktionen durchzusetzen.

"Das Seco hat nicht verstanden, dass es einen kompletten Paradigmenwechsel gibt. Es hat nicht einmal die notwendigen Ressourcen, um seine neuen Aufgaben zu erfüllen", sagte Carlo Sommaruga, Anwalt und Politiker der Sozialdemokraten, gegenüber Le Tribune de Geneve.

Komplexe Fälle

Das Seco argumentiert, dass es alle bisherigen Sanktionsrunden der Europäischen Union voll umgesetzt habe. Die Komplexität der einzelnen Fälle mache dies jedoch zeitaufwändig. Die heute genannte neue Zahl zeige, dass die Umsetzung der Sanktionen gut funktioniere, sagte der Chef des Seco-Bereichs Bilaterale Wirtschaftsbeziehungen, Erwin Bollinger.

Die bisher festgesetzten Vermögenswerten vergleichen sich mit rund 800 Millionen in Italien, darunter diverse Luxusyachten. In Deutschland wurden zuletzt gerade einmal 95 Millionen Euro an eingefrorenen Oligarchengeldern gemeldet.

Die Schweiz prüfe ihre mögliche Beteiligung an einer internationalen Task Force zum Aufspüren russischer Gelder und stehe in engem Kontakt mit den USA, sagte Bundespräsident Ignazio Cassis diese Woche in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger. Es sei nicht angebracht, das Vorgehen als "passiv" zu bezeichnen.

Führendes Zentrum für russisches Vermögen

Freilich hält sich die Schweiz bedeckt dazu, wessen Vermögen beschlagnahmt wurde. Diese Diskretion ist einer der Gründe, der das Land überhaupt erst zu einem führenden Zentrum für russische Vermögen gemacht hat. Im Gegensatz zu Grossbritannien und Italien, wo Yachten oder Luxuswohnungen unter grossem Medienecho beschlagnahmt wurden, hat das Seco keine solchen Aktionen öffentlich gemacht.

Die Schweizer Bankenaufsichtsbehörde Finma sagt, die Banken des Landes leisteten bei der Einhaltung der Sanktionen gute Arbeit, sprach jedoch von einer nie dagewesenen Komplexität.

Der Umgang mit diesen Sanktionen "ist für die Institute keineswegs neu, aber der Umfang und die Komplexität haben stark zugenommen", sagte Finma-Chef Urban Angehrn und fügte hinzu, dass seine Institution mit der Credit Suisse und der UBS sowie den anderen Schweizer Grossbanken zu diesem Thema in Kontakt steht. "Die korrekte Durchsetzung von Sanktionen erfordert höchste Sorgfalt."

Versäumnis des Bundesrats

Dass nur das Seco und nicht die Finma mit der Durchsetzung der Sanktionen beauftragt wurde, war ein echtes Versäumnis der Schweizer Regierung, sagt Mark Pieth, ehemaliger Rechtsprofessor an der Universität Basel und Experte für Korruptionsbekämpfung. Die ersten Sanktionen gegen Russen mit Vermögen in der Schweiz, darunter Viktor Vekselberg und Gennadi Timtschenko, wurden bereits 2014 verhängt.

"Wie kommt es, dass ein Land wie die Schweiz, das so stark exponiert ist bei russischen Vermögenswerten, darauf so unvorbereitet ist?", fragte Pieth. "Natürlich konnte niemand das Ausmass des aktuellen Krieges vorhersehen, aber andere Länder waren anscheinend besser vorbereitet."

(Bloomberg)