Zwar würden seit den Massenverhaftungen und der Verhängung von Todesstrafen weniger Menschen auf die Strassen gehen, sagte Saeid Golkar von der Universität von Tennessee der Nachrichtenagentur Reuters. "Allerdings hat sich ein riesiges Ressentiment unter den Iranern herausgebildet." Der Leiter des New Yorker Zentrums für Menschenrechte im Iran, Hadi Ghaemi, urteilte, es werde keine Rückkehr zum früheren status quo geben. "Das Regime kann nicht zur Ära vor dem Tod von Mahsa zurückkehren."

Seid dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini am 16. September rollt eine Protest-Welle durch das Land. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen wurden mehrere hundert Demonstranten von Sicherheitskräften getötet. Knapp 20.000 Menschen sollen inhaftiert worden sein. Bislang wurden mindestens vier Todesurteile gegen Regierungsgegner ausgeführt. Zuletzt nahmen die Proteste ab und konzentrierten sich auf sunnitische Gebiete im mehrheitlich schiitischen Iran. Amini war von der sogenannten Sittenpolizei festgenommen worden, weil sie unangemessen gekleidet gewesen sein soll. Die Proteste haben sich zur grössten Herausforderungen für die Führung seit Gründung der Islamischen Republik 1979 ausgewachsen.

Repressionen wirken langfristig nicht

Die staatlichen Repressionen könnten kurzfristig, aber nicht langfristig wirken, sagte der für Iran zuständige Chef des Washingtoner Instituts für den Mittleren Osten, Alex Vatanka. Die jungen Menschen im Iran wollten "einen grossen politischen Wechsel, und sie werden dafür kämpfen". Ähnlich argumentierte Ghaemi: "Die Proteste haben eine andere Form angenommen, aber beendet sind sie nicht." Die Demonstranten seien entweder in den Gefängnissen oder in den Untergrund gegangen.

Die Experten gehen davon aus, dass der Widerstand gegen die Führung auch deshalb anhalten wird, weil keine der Forderungen der Protestierer erfüllt wurde. Dazu gehört auch der Wunsch nach einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Viele Iraner kämpfen mit einer galoppierenden Inflation und einer wachsenden Arbeitslosigkeit. Jeder zweite Jugendliche hat keinen Arbeitsplatz, über 50 Prozent der Iraner sind nach amtlichen Angaben unter die Armutsgrenze gefallen. Die Analysten sehen wenig Handlungsspielraum für die Regierung. Die geistliche Führung fürchte offenbar, Zugeständnisse an die Demonstranten könnten als Schwäche ausgelegt werden. Ein Motiv für die drakonischen Strafen sei auch, dass sie ihre Unterstützer wie die Basidsch-Milizionäre zufriedenstellen müsse, sagte Golkar. Reuters konnte das Büro von Präsident Ebrahim Raisi nicht für eine Stellungnahme erreichen.

Ghaemi wies darauf hin, dass Raisi diesmal nicht wie vor rund 40 Jahren Widerstand fast geräuschlos auslöschen könne. Damals spielte er eine führende Rolle bei den Exekutionen Tausender politischer Häftlinge. Man sei aber nicht mehr in den 1980er Jahren, als man im Verborgenen diese Verbrechen begehen konnte, sagte Ghaemi. "Alles, was sie jetzt machen, kommt in die sozialen Medien und wird international sehr aufmerksam beobachtet."

(Reuters)