Als die Statements des Kanzlers und des Ministerpräsidenten im Gebäude der Luftwaffe eigentlich schon beendet sind, ergreift Benjamin Netanjahu doch noch mal das Wort. Er schätze alles, was Olaf Scholz gesagt habe, danke für den Besuch in Israel und die Zusicherung zum Schutz von Juden in Deutschland. Doch dann schickt er ein grosses «Aber» hinterher. Denn jede Mahnung, dass im Krieg mit der Hamas Zivilisten geschützt werden müssten, müsse klar an die radikal-islamische Organisation gehen. Diese habe am 7. Oktober mehr Juden umgebracht habe als an irgendeinem Tag seit dem Holocaust, sagt der konservative Regierungschef mit grimmigem Gesicht. Die Hamas benutze Geiseln und die Menschen im Gazastreifen nun als Schutzschilder. Dabei habe die israelische Armee die Bevölkerung doch aufgefordert, sich in Schutzzonen im Süden zu begeben.

Scholz hört mit unbewegtem Gesicht zu. Denn der Auftritt mit Netanjahu zeigt nur den Spagat, den der Kanzler absolvieren muss. Einerseits ist er sehr schnell gekommen, um Solidarität mit dem traumatisierten Land zu zeigen, dessen Sicherheit deutsche Staatsräson ist. Und Scholz lernt aus der Kritik, dass er die von Russland angegriffene Ukraine so spät besucht habe. Also betont er die Solidarität, das Recht Israels auf Verteidigung, den Kampf gegen Antisemitismus in Deutschland.

Andererseits will und muss Scholz eben auch Punkte setzen, die ihm wichtig sind. Ein Flächenbrand muss vermieden werden. Immerhin hatte ein sehr besorgt wirkender jordanischer König Abdullah Scholz am Morgen im Kanzleramt in Berlin noch gesagt, dass die ganze Nahost-Region «am Abgrund» stehe. Also ist trotz allem Hamas-Terror Mässigung gefragt.

Deshalb hat sich Scholz ebenso wie Aussenministerin Annalena Baerbock sehr schnell in den hektischen Gesprächsreigen mit allen möglichen Regierungen in der Region eingereiht - dessen Höhepunkt sein Überraschungsbesuch in Israel und Ägypten ist. Zuvor hatte Scholz schon den Emir von Katar und König Abdullah empfangen sowie mit den Präsidenten von Ägypten, der Türkei und Algerien telefoniert – neben der Abstimmung mit den westlichen Verbündeten.

Und Scholz will eben die nötige zivile Hilfe für die Palästinenser betonen. «Mit dem Ministerpräsidenten habe ich eben über Wege gesprochen, den Menschen in Gaza schnellstmöglich humanitäre Hilfe zukommen zu lassen», sagt er, um sich vorsorglich gegen mögliche israelische Kritik zu wappnen.

«Wir wollen Zivilisten schützen und zivile Opfer vermeiden», sagt Scholz. Und da verdunkelt sich Netanjahus Gesicht. Denn die westlichen Warnungen vor einem unverhältnismässig harten Gegenschlag hört der umstrittene israelische Ministerpräsident in den vergangenen Tagen häufig. In westlichen Hauptstädten stellt man sich - bei aller Solidarität - die Frage, was eigentlich die Zukunft des Gazastreifens sein soll. Jordaniens König hat jedenfalls schon betont, dass sein Land und Ägypten auf keinen Fall palästinensische Flüchtlinge aufnehmen werden. Das Problem müsse im Gazastreifen selbst gelöst werden.

Dass diese Debatte unter Kriegsbedingungen geführt wird, bekommt Scholz hautnah zu spüren, als er sich anschliessend in der deutschen Botschaft in Tel Aviv mit Benny Gantz unterhält, Mitglied im israelischen Kriegskabinett. Plötzlich bricht wegen eines Luftalarms Hektik im Gebäude aus, denn die Hamas schiesst immer wieder Raketen Richtung Israel ab. Alle müssen in Schutzräume, auch die Demonstranten vor der Tür der Botschaft, die ein Engagement von Scholz für die Freilassung der Hamas-Geiseln fordern. Scholz und Gantz üben den ungewöhnlichen Alltag einer Kriegssituation - sie setzen ihre Unterhaltung einfach im Schutzraum fort.

(Reuters)