Noch habe es aber keine ernstzunehmenden Vorschläge gegeben, sagte der russische Aussenminister Sergej Lawrow am Dienstag in einem Interview mit dem russischen Staatsfernsehen. Auch ein Treffen zwischen Präsident Wladimir Putin und US-Präsident Joe Biden am Rande des bevorstehenden G20-Gipfels sei möglich. "Wir haben oft wiederholt, dass wir keine Treffen ablehnen. Wenn es einen Vorschlag gibt, werden wir ihn prüfen." US-Vertreter, darunter der Sprecher der nationalen Sicherheit des Präsidialamtes, John Kirby, hätten gesagt, die Vereinigten Staaten seien für Gespräche offen, Russland habe sich jedoch geweigert. "Das ist eine Lüge", sagte Lawrow. "Wir haben keine seriösen Kontaktangebote erhalten."

Das Treffen der Staats- und Regierungschefs der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) ist Mitte November auf der indonesischen Insel Bali geplant. Russland sei bereit, sich jegliche Vorschläge zu Friedensgesprächen anzuhören, auch unter Vermittlung der Türkei, sagte Lawrow. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan habe bei einem gemeinsamen Besuch in Kasachstan die Möglichkeit, Putin Vorschläge zu unterbreiten. Er könne jedoch nicht im Voraus sagen, wohin dieser Prozess führen würde.

Russland war am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert. Es bezeichnet dies als militärischen Sondereinsatz zur Demilitarisierung der Ukraine. Die Ukraine und der Westen sprechen hingegen von einem völkerrechtlichen Angriffskrieg. Direkte Gespräche zwischen Russland und der Ukraine scheiterten Ende März. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte nach der Annexion von vier ukrainischen Gebieten durch Russland Ende September erklärt, zwar offen für Gespräche mit Russland zu sein, aber nicht mit Putin.

Zunächst will die Gruppe der G7 am Dienstag virtuell über die Ukraine beraten. Es wird erwartet, dass Selenskyj die USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Kanada und Italien um Luftabwehrsysteme bitten wird. Russland hatte am Montag als Vergeltung für die Explosion an der Krim-Brücke mehrere ukrainische Städte - darunter auch Kiew - beschossen. Nach Angaben des ukrainischen Zivilschutzes vom Dienstag sind dabei 19 Menschen getötet und 105 verletzt worden. Selenskyj bezeichnete daraufhin die Luftverteidigung als oberste Priorität. "Wir werden alles tun, um unsere Armee zu stärken", sagte er in seiner täglichen Ansprache. Biden sagte ihm in einem Telefonat bereits die Lieferung von fortgeschrittenen Luftabwehr-Systemen zu.

Fortsetzung der Angriffe am Dienstag

Auch am Dienstag setzte Russland den Beschuss der Ukraine mit Langstreckenraketen fort - offenbar aber nicht mit der Vehemenz vom Montag. Vielerorts fiel der Strom aus, so auch in Teilen der im Westen gelegenen Stadt Lwiw. Die Ukraine wirft Russland vor, mit seinen Angriffen auf ihre Energieanlagen Kriegsverbrechen zu begehen. Damit schaffe Russland absichtlich unerträgliche Bedingungen für die Zivilbevölkerung, schrieb der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba auf Twitter. "Hauptziele russischer Angriffe sind Energieanlagen. Sie haben gestern viele getroffen, und sie treffen heute dieselben und neue. Dies sind Kriegsverbrechen, die lange im Voraus geplant wurden und darauf abzielen, unerträgliche Bedingungen für die Zivilbevölkerung zu schaffen – Russlands bewusste Strategie seit Monaten." Die russische Führung bestreitet, dass ihre Streitkräfte Kriegsverbrechen in der Ukraine begangen haben.

Den Vereinten Nationen zufolge könnte Russland mit seinen jüngsten Angriffen jedoch internationales Recht verletzt haben. "Es besorgt uns sehr, dass manche der Angriffe zivile Infrastruktur zum Ziel gehabt haben könnte. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass diese Angriffe die Prinzipien der internationalen Menschenrechte verletzt haben könnten", sagte eine Sprecherin des Büros des UN-Hochkommissars für Menschenrechte. "Wir ermahnen Russland, von einer weiteren Eskalation abzusehen und alles zu unternehmen, Opfer unter Zivilisten und Schäden an der zivilen Infrastruktur zu vermeiden."

Einen diplomatischen Rückschlag erlitt Russland bei den Vereinten Nationen. Die UN-Vollversammlung lehnte eine von Russland geforderte geheime Abstimmung über eine Verurteilung der Annexion von vier ukrainischen Gebieten ab. Über die Resolution soll öffentlich abgestimmt werden. Dem Entwurf zufolge werden die Mitgliedsländer aufgefordert, die Annexion der teilweise von Russland besetzten Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja nicht anzuerkennen und die Souveränität sowie die territoriale Integrität der Ukraine zu bestätigen.

(Reuters)