Die Armee bekomme nicht genug neue Soldaten, um mit den Verlusten an der Front Schritt zu halten, sagten drei Personen aus dem Umfeld des Kremls und des russischen Verteidigungsministeriums, die anonym bleiben wollten. Die Verluste seien die höchsten seit Beginn der Invasion im Februar 2022.

Im Durchschnitt liegen die Rekrutierungszahlen dem Vernehmen nach auf regionaler Ebene bei nicht mehr als einem Drittel der Zielquoten. Dies könnte Moskau zwingen, doch erneut eine Zwangsrekrutierung in Betracht zu ziehen. Offiziell könnte dies als Rotationsmassnahme dargestellt werden, die die Truppen an der Front entlasten soll. Wie zu hören ist, könnte eine Mobilisierung bereits Ende des Jahres angeordnet werden.

Der überraschende militärische Vorstoss der Ukraine in die westrussische Region Kursk, der auf wenig Widerstand stiess, hat die Herausforderungen für den Kreml im dritten Jahr des Krieges deutlich gemacht. Die ukrainischen Streitkräfte kontrollierten nun 1000 Quadratkilometer russischen Territoriums, erklärte der ukrainische Armeechef am Montag gegenüber Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte im September 2022 die Einberufung von 300'000 Reservisten angeordnet, woraufhin die Kriegsmüdigkeit unter den Russen zunahm und bis zu einer Million Menschen das Land verliessen. Seither setzt der Kreml auf Appelle an den Patriotismus und Geldangebote, um die 30'000 neuen Soldaten zu gewinnen, die jeden Monat allein zur Auffüllung der Truppen benötigt werden.

Im Juli versprach der Moskauer Bürgermeister Sergei Sobjanin, jedem Freiwilligen 1,9 Millionen Rubel (19'000 Euro) zu zahlen, zusätzlich zu den 600'000 Rubel, die die Stadtverwaltung bereits in monatlichen Raten ausgibt, um die vom Verteidigungsministerium gezahlten Gehälter und Prämien aufzustocken. Insgesamt können neue Rekruten laut Moskaus Bürgermeister im ersten Jahr 5,2 Millionen Rubel verdienen - vorausgesetzt, sie überleben.

Die Einkünfte entsprechen damit etwa dem Dreifachen des durchschnittlichen Jahresgehalts in der Hauptstadt im vergangenen Jahr. Putins Heimatstadt St. Petersburg zog schnell nach und bot den neuen Rekruten 1,6 Millionen Rubel. Putin wies die Regierung ausserdem an, die föderale Prämie für neue Soldaten bis zum Jahresende auf 400'000 Rubel zu verdoppeln, und forderte die regionalen Behörden auf, die gleiche Summe zu zahlen.

Der durchschnittliche Monatslohn in Russland lag im Mai bei knapp 86'500 Rubel. Der Rekrutenbedarf des Militärs führt bereits zu einem sich beschleunigenden Gehaltswettstreit mit der Wirtschaft, der Arbeitskräftemangel verschärft sich.

(Bloomberg)