Es ist noch nicht lange her, da waren freie Wohnungen in der Schweiz en masse vorhanden. Vor allem im Mittelland standen Zehntausende davon leer. 

Rund fünf Jahre später ist aus dem Überschuss ein Mangel geworden – nun wird vor einer Wohnungsnot gewarnt. Bereits nächstes Jahr wären laut der Credit Suisse 30’000 Objekte zusätzlich nötig, um für alle Personen eine Bleibe zu haben, die eine neue Adresse suchen. Denn es ziehen wieder mehr Menschen in die Schweiz, und immer mehr Leute leben alleine. Die Nachfrage steigt. Und bei dieser Schätzung sind die Zehntausenden von Flüchtlingen aus der Ukraine, die viele auch eine Wohnung suchen, noch gar nicht berücksichtigt.

Und doch stockt der Nachschub – statt mehr, wird immer weniger gebaut. 2022 entstanden 45’000 neue Wohnungen, heuer und nächstes Jahr dürften es nur je 42’000 sein. Zum Vergleich: 2015 bis 2018 wurden im Mittel noch jährlich je 54’000 Einheiten errichtet.

Eine stark steigende Nachfrage trifft also auf ein schwach steigendes Angebot. Resultat: Der Wohnungsmarkt ist so leergefegt wie zuletzt Ende der 1980er Jahre.

Der Grund für die Trendwende

Es ist zu einer abrupten Trendwende beim Wohnungsbau gekommen, und das wirft die Frage nach dem Grund dafür auf. Dem geht die Credit Suisse (CS) in ihrem neuen Immobilienbericht nach und sie sieht eine Hauptursache: Vor allem die im Vergleich zu früher strengere Raumplanung hat zur Wohnungsknappheit geführt. 

Ändere mögliche Erklärungen, wie etwa jene, dass es sich um einen klassischen Schweinezyklus handelt, hält die Credit Suisse für wenig plausibel. Ein solcher Zyklus würde bedeuten, dass Immobilieninvestoren davor zurückschreckten, neue Bauvorhaben aufzugleisen, weil bis vor kurzem so viele Wohnungen leer standen.

Dem widerspricht die CS: Weil die Zinsen so tief waren, rentierten Immobilienanlagen sogar, wenn nicht alle Liegenschaften voll vermietet waren. Beim Bau von Mehrfamilienhäusern winkten regelmässige Mieteinnahmen und Aufwertungsgewinne.

Auch mit der Corona-Pandemie lässt sich aus Sicht der CS die Trendwende beim Wohnungsbau nicht erklären – hat doch das Virus vielmehr das Wohnen aufgewertet und den Trend zu Homeoffice befeuert. Der zusätzliche Bedarf an Wohnfläche hätte die Bautätigkeit ankurbeln sollen.

Noch ist viel Bauland vorhanden

Die verschärfte Raumplanung soll also hauptsächlich die Ursache sein. Auslöser dafür ist die 2014 in Kraft gesetzte Revision des Raumplanungsgesetzes, welche die Kantone erst jetzt in Gesetze und Verordnungen giessen. Der Effekt wird allmählich deutlich. Zwar ist Bauland noch reichlich vorhanden, wenn auch in geringerem Mass als noch vor einigen Jahren. Es würde Platz für zusätzlich 1,6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner bieten. 

Doch leider sind diese Flächen vielfach nicht dort, wo die Menschen leben wollen, sondern in wenig zentralen Kantonen wie Jura, Wallis oder Neuenburg. Viel vom Bauland ist zudem schlecht erschlossen, und attraktive Parzellen werden von den Besitzern gerne gehortet. Ein weiterer Punkt: Zusätzliches Bauland einzuzonen ist in vielen Gemeinden kaum mehr möglich.

Statt auf der grünen Wiese sollen neue Bauten künftig vor allem innerhalb der Dörfer und Städte entstehen, die Politik will das Wachstum mit Verdichtung ermöglichen. Doch private Einsprachen, gesetzliche Auflagen wie Lärmschutz sowie lange Verfahren erschweren diesen Prozess. Allein in der Stadt Zürich ist beispielsweise der Bau von geschätzten tausend Wohnungen durch Einsprachen wegen Lärmschutz blockiert.

Sechs Wege aus der Misere

Die Credit Suisse sieht sechs Wege, die Verdichtung zu vereinfachen.

  • So gelte es zu verhindern, dass Besitzer Bauland horten – Kantone könnten sich per Gesetz beispielsweise ein Kaufrecht einräumen oder mit einer Lenkungsabgabe das Horten zum Verlustgeschäft machen.

  • Dann will die CS Baugesetze lockern, so dass die Gebäude höher und grösser werden können.

  • Weiter schlägt die Studie vor, in den Gesetzen dem Heimatschutz und dem Lärmschutz weniger und dem Ziel der Verdichtung mehr Gewicht zu geben. 

  • Ebenfalls möchten die Bankexperten die Umwandlung von Hotels und Büros in Wohnungen vereinfachen.

  • Und dann sollten auch die Bewilligungsverfahren beschleunigt werden – indem die Ämter mehr Personal erhalten und die Prozesse digitalisiert werden.

Dieser Strauss von Massnahmen soll den Wohnungsbau wieder attraktiver machen. 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Handelszeitung unter dem Titel: "Der wahre Grund für die drohende Wohnungsnot"