Nach den schwersten Angriffen der radikal-islamischen Palästinenser-Gruppe Hamas seit Jahrzehnten mit Hunderten Todesopfern hat Israel den Gazastreifen massiv unter Beschuss genommen. Da Israel am Sonntag kurzeitig auch von der Islamisten-Miliz Hisbollah aus dem Libanon angegriffen wurde, wuchs die Furcht vor einem Flächenbrand in der Region, vor dem etliche Staaten bereits gewarnt haben. Die Zahl der Todesopfer in Israel nach dem überraschenden Hamas-Grossangriff am Samstag stieg immer weiter an, laut Berichten israelischer TV-Sender lag sie zuletzt bei 500 bis 600. Zudem sollen mehrere hundert Palästinenser getötet worden sein. Die Zahl der Verletzten auf beiden Seiten geht in die Tausende.

In der Nacht auf Sonntag hatten israelische Luftangriffe Wohnblocks, Tunnel, eine Moschee und Häuser von Hamas-Funktionären im Gazastreifen getroffen. Mehr als 300 Menschen, darunter 20 Kinder, wurden durch die israelischen Gegenangriffe getötet. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schwor «mächtige Rache für diesen bösen Tag». Im Süden Israels kämpften die Armee auch am Sonntag immer noch an einigen Orten gegen Hamas-Extremisten. Am Samstag hatte die im Gazastreifen herrschende Hamas überraschend einen Grossangriff auf Israel aus der Luft, vom Boden und vom Meer aus begonnen. Sie feierte Tausende Raketen ab, Hunderte Kämpfer drangen durch die massiven Grenzbefestigungen vom Gazastreifen nach Israel ein. Sie töteten zahllose Zivilisten in grenznahen Ortschaften und entführten offenbar mehrere Dutzend Menschen in den Gazastreifen. Unter den Opfern sind auch zahlreiche Ausländer.

Das israelische Militär erklärte, es habe die Kontrolle über die meisten Infiltrationspunkte zurückgewonnen, Hunderte von Angreifern seien getötet und Dutzende weitere gefangen genommen. Mittlerweile seien Zehntausende von Soldaten in der Umgebung des Gazastreifens stationiert, in dem 2,3 Millionen Palästinenser leben. Israel hatte die Stromversorgung für das Küstengebiet bereits am Samstag unterbrochen. Israels Militär und der Geheimdienst stehen in der Kritik, weil sie den blutigsten Überfall seit Jahrzehnten nicht verhindern konnten. Der Angriff traf Israel offensichtlich völlig unvorbereitet.

Israel erhielt von Staaten wie den USA und aus Europa Rückendeckung. US-Präsident Joe Biden bekräftigte, sein Land werde Israel immer den Rücken stärken. Bundesaussenministerin Annalena Baerbock bezeichnete den Angriff als eine «Zäsur» und warnte vor einem Flächenbrand in der Region. Etliche arabische Staaten gaben Israel wegen der Siedlungspolitik vor allem im Westjordanland die Verantwortung für die Eskalation. In Deutschland wurde laut Innenministerin Nancy Faeser der Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen verstärkt. Auch Frankreich erhöhte die Sicherheitsvorkehrungen rund um Synagogen und jüdische Schulen. In Ägypten wurden zwei israelische Touristen erschossen.

«Hamas will uns alle umbringen»

«Wir werden mächtige Rache für diesen schwarzen Tag nehmen», sagte Ministerpräsident Netanjahu. «Unser Feind wird einen Preis zahlen, wie er ihn noch nie erlebt hat.» Die Hamas habe einen grausamen Krieg begonnen. «Die Hamas will uns alle umbringen. Sie ist ein Feind, der Mütter und Kinder in ihren Häusern, in ihren Betten ermordet.» Ein Militärsprecher sagte, man sei im Kriegszustand. Israel könne Hunderttausende Reservisten mobilisieren und sei auch auf einen Krieg an seiner Nordfront gegen die Hisbollah vorbereitet, die wie auch die Hamas bereits mehrere Kriege gegen Israel geführt hat.

Hamas-Chef Ismail Hanijeh sagte, der Angriff werde sich auf das Westjordanland und Jerusalem ausweiten. «Dies war der Morgen der Niederlage und der Demütigung für unseren Feind, seine Soldaten und seine Siedler.» Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas sagte laut der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa in einem Telefonat mit US-Aussenminister Antony Blinken, dass die «Ungerechtigkeit», die den Palästinensern widerfahre, den Konflikt mit Israel zu einer «Explosion» treibe. Der Iran bezeichnete die Angriffe als Selbstverteidigung der Palästinenser und rief muslimische Länder auf, sich auf deren Seite zu stellen. Im Nahen Osten gab es Demonstrationen zur Unterstützung der Hamas. Dabei wurden israelische und US-Flaggen verbrannt.

Sondersitzung des Uno-Sicherheitsrates

Brasilien hat als derzeitiger Vorsitzender des UN-Sicherheitsrates eine Dringlichkeitssitzung für Sonntag einberufen. Der türkische Aussenminister Hakan Fidan telefonierte mit seinen Amtskollegen aus Katar, Saudi-Arabien, Ägypten, Iran und der palästinensischen Seite. Dabei sei der Konflikt erörtert worden, hiess es. Gespräche gab es zudem unter anderem auch zwischen Saudi-Arabien und den USA sowie zwischen Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien.

Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Ahmed Abul Gheit, reiste zu Gesprächen über die Eskalation im Nahost-Konflikt nach Moskau. Russland hatte dem Westen nach dem Hamas-Angriff auf Israel vorgeworfen, die Verhandlungen für eine Friedenslösung im Rahmen des sogenannten Nahost-Quartetts zu blockieren. Es seien angemessene Verhandlungen nötig, um die Schaffung eines unabhängigen Palästinenser-Staates in den Grenzen von 1967 mit einer Hauptstadt in Ost-Jerusalem zu ermöglichen. Zu den Vermittlern im Nahost-Quartett gehören die USA, Russland, die Europäische Union und die Vereinten Nationen.

(Reuters)