Darauf hat die Luftfahrt seit zwei Jahren gewartet - doch ausgerechnet jetzt steckt sie im Dilemma: Mit Abebben der Corona-Pandemie, die den Wirtschaftszweig lange lahmgelegt hat, will die Branche endlich wieder durchstarten und hat sogar das Vorkrisenniveau im Blick. Doch stattdessen gibt es massive Flugstreichungen, Verspätungen, Warteschlangen - ein Chaos-Sommer droht an deutschen Airports. Als Knackpunkt gelten Personalmangel und Engpässe bei Sicherheitskontrollen, Check-in und Flugzeugabfertigung. "Hier sind rund 20 Prozent der Stellen unbesetzt", sagt Ralph Beisel vom Flughafenverband ADV. Laut Thomas Richter, dem Chef des Arbeitgeberverbands der Bodenabfertigungsdienstleister im Luftverkehr (ABL), ist der Arbeitsmarkt momentan "leergefegt".

Die Airlines treten bereits voll auf die Bremse, um ein Chaos wie 2018 zu vermeiden. Die Lufthansa streicht allein für Juli 900 innerdeutsche und europäische Flüge an den Drehkreuzen in Frankfurt und München. Dies trifft Flüge am Freitag, Samstag und Sonntag - und zwar fünf Prozent der geplanten Kapazität an den Wochenenden. Auch die Lufthansa-Billigtochter Eurowings kappt mehrere hundert Verbindungen und begründet dies mit der "zur Stabilisierung des touristischen Angebots". Die genaue Zahl stehe noch nicht fest. Eurowings-Chef Jens Bischof hatte erst vor kurzem angekündigt, man biete im Sommerquartal mehr Sitzplätze an als im Jahr vor der Corona-Krise 2019. Dies dürfte nun weitgehend vom Tisch sein.

Die Virus-Pandemie hat die Luftfahrt 2020 in ihre tiefste Krise überhaupt gedrückt, viele Airlines und Flughäfen konnten nur dank Staatshilfen überleben. Auch 2021 brachte nicht die erhoffte Erholung. Deshalb setzt die Branche so sehr auf die Urlaubssaison 2022. "Für die Sommerferien rechnen wir an deutschen Flughäfen wieder mit 80 Prozent der Passagiere des Vorkrisenniveaus", sagt ADV-Hauptgeschäftsführer Beisel. Der Betrieb balle sich auf wenige Kernstunden. "Zu diesen Verkehrsspitzen besteht ein massiver Personalbedarf."

Lieber Föhn einpacken als schweren Koffer schleppen

Seit der Corona-Krise haben viele Beschäftigte der Bodendienstleister der Branche den Rücken gekehrt und sind vor allem in die Logistik abgewandert. Damit seien etwa die Post-Tochter DHL oder der Online-Händler Amazon Konkurrenten beim Recruiting, sagt der ABL-Vorstandsvorsitzende Richter. Zudem sei die Arbeit am Flughafen körperlich anstrengend. "Es ist angenehmer einen Föhn oder einen Computer in einen Karton zu packen als einen 23-Kilo schweren Koffer im Rumpf eines Fliegers kriechend zu verwahren."

Strenge Sicherheitsauflagen an Flughäfen erschweren zudem Neueinstellungen. "Die sogenannte Zuverlässigkeitsüberprüfung dauert zwischen sechs und 14 Wochen", sagt Richter. Viele Mitarbeiter hätten einen Migrationshintergrund und müssten vorige Wohnsitze, Jobs und Sprachkenntnisse nachweisen. Dies verlängere den Prozess. Verschiedene Verbände wollen rund 2000 Leiharbeiter aus der Türkei holen, um Personallücken zu füllen, und hoffen auf Rückendeckung der Bundesregierung.

Für ABL-Vertreter Richter ist die Gemengelage ein kollektives Problem aller Beteiligten: Flughäfen, Bodenverkehrsdienste, Flugsicherung und Airlines. "Einen Hauptschuldigen auszumachen, ist schwierig." Die Vereinigung der Dienstleister an Deutschen Flughäfen (VDF) hingegen sieht dies anders. "Der schwarze Peter liegt klar bei der Politik", sagt VDF-Geschäftsführer Klaus Knöpfle zu Reuters. Denn schon zu Beginn der Pandemie im März 2020 habe es Hinweise gegeben, dass der Neustart der Branche schwierig werden könnte. Aber von der Politik habe es keine Hilfe gegeben.

"Mit Ach und Krach über den Sommer"

Auch wenn die Reiselust der Deutschen nach zwei Corona-Jahren gross ist, kommt sie das Fliegen nun teurer zu stehen. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) hat bereits im März - nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine - erklärt, dass die deutlich steigenden Treibstoffpreise das Fliegen verteuern. Auch Deutschland-Chef Andreas Gruber vom irischen Billigflieger Ryanair geht von steigenden Ticketpreisen aus. "Wir rechnen mit einer Erhöhung von fünf bis zehn Prozent", sagte er den "Badischen Neuesten Nachrichten".

Die Passagiere müssen sich jedenfalls auf Warteschlangen, Verspätungen und Flugstreichungen einstellen. Einen Vorgeschmack auf den Sommer gab es über Pfingsten, wo es an vielen Airports nicht rund lief. "Pfingsten hat es noch mal allen gezeigt", warnt ein Branchenvertreter. "Das System ist an allen Ecken und Enden überfordert." Damit steht Deutschland nicht allein da, das Problem trifft viele europäische Länder. "In Österreich ist die Personalsituation drastisch", warnt Daniel Liebhart, Vorsitzender des Fachbereichs Luftfahrt in der Gewerkschaft vida. "Hier werden wir, wenn überhaupt, nur mit Ach und Krach über die Sommermonate kommen."

(Reuters)