Angesichts der abebbenden Inflation senkt die Europäische Zentralbank (EZB) erneut die Leitzinsen. Nach der geldpolitischen Wende vom Juni legte sie am Donnerstag erstmals nach: Der für die Finanzmärkte massgebliche Einlagesatz, zu dem Banken bei der EZB kurzfristig überschüssige Gelder anlegen können, wurde von 3,75 auf 3,50 Prozent gekappt.

Ökonomen und Finanzexperten sagten dazu in ersten Reaktionen:

Michael Heise, Chefökonom HQ Trust:

«Die heutige Zinssenkung ist der Lage angemessen. Es dürfte noch eine weitere bis Jahresende folgen. Der Zinspfad in 2025 wird jedoch nicht so deutlich nach unten gehen, wie es die Finanzmärkte derzeit erwarten.»

Patrick Zurfluh, Leiter Real Estate Financing bei Loanboox:

«Die EZB möchte die Wirtschaft mit diesem moderaten Zinsschritt nach unten behutsam ankurbeln – ohne die Inflationssorgen weiter zu befeuern. Für die Immobilienwirtschaft ist diese Senkung ein kurzfristiger Stimulus. Niedrigere Zinsen bedeuten günstigere Finanzierungsmöglichkeiten, was die Nachfrage nach Immobilien und die Bautätigkeit beleben könnte. Gleichzeitig müssen Investoren jedoch die weiterhin hohe Volatilität der Märkte im Blick behalten und flexibel auf Zinsänderungen reagieren.»

Michael Brown, Stratege des Brokers Pepperstone:

«Die Entscheidungsträger werden den Einlagensatz in diesem Jahr wahrscheinlich nur noch einmal senken. Sollte der Offenmarktausschuss der Fed am kommenden Mittwoch einen relativ gemässigten Ton anschlagen, könnte dies den Euro-Dollar-Kurs mittelfristig zu stützen.»

Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV):

«Die heutige EZB-Entscheidung, den Zinssenkungspfad weiter fortzusetzen, ist richtig und durch die aktuelle Datenlage klar begründet. Sie ist ein positives und beruhigendes Signal an die Märkte. Dennoch sollte die EZB weiter Fingerspitzengefühl zeigen. Wir sehen einerseits weiter hohe Teuerungsraten im Dienstleistungssektor, sodass sich die Inflationsrate auch zukünftig als hartnäckig erweisen könnte. Andererseits sollte die EZB das richtige Timing der weiteren Zinsschritte nicht verpassen. Heute wählt die EZB mit ihrer Senkung um 25 Basispunkte meines Erachtens einen sehr guten Mittelweg.»

Ann-Katrin Petersen, Leiterin Kapitalmarktstrategie Deutschland, Schweiz, Österreich und Osteuropa beim Vermögensverwalter BlackRock:

«Schwächere Wachstumsprojektionen stehen der anhaltenden Einschätzung gegenüber, dass die Inflation in der zweiten Jahreshälfte 2025 auf die 2-Prozent-Zielmarke sinken wird. Das fortlaufend straffe Zinsniveau bedeutet unseres Erachtens, dass die EZB die Zinsen in diesem Jahr erneut senken könnte. Die Markterwartungen über eine weitere mögliche Senkung bereits im Oktober halten wir für optimistisch. Eine hartnäckige Inflation bedeutet unserer Ansicht nach, dass nur eine weitere spürbare Eintrübung der Wirtschaft die EZB dazu veranlassen würde, ihre quartalsweisen Zinslockerungen um einen Viertelpunkt zu beschleunigen. Wir bevorzugen daher Zinseinkommen aus kurzfristigen Anleihen des Euroraums gegenüber kurzfristigen US-Staatsanleihen.»

(cash/Reuters)