Die Finanzminister der Europäischen Union haben sich nach monatelangem Ringen auf neue Regeln zum Schuldenabbau geeinigt, die den Spielraum der EU für Investitionen in den kommenden Jahre festlegen.

Die langwierigen Verhandlungen, die ursprünglich noch vor dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie vor fast vier Jahren begonnen hatten, wurden schliesslich am Mittwoch in einer lediglich zwei Stunden währenden Videokonferenz der 27 Mitgliedsstaaten abgeschlossen.

Die Einigung sieht zum einen mehr Flexibilität bei der Budgetplanung für die Mitgliedsländer vor, enthält aber auch Klauseln, auf die Berlin gedrängt hatte und die den Schuldenabbau sichern und die Staaten anhalten sollen, Puffer für kommende gesamtwirtschaftliche Schocks zu bilden.

Insgesamt sollen die Regeln Haushaltsdefizite und Gesamtverschuldung senken, die während der Pandemie und der Energiekrise der vergangenen zwei Jahre ausgeweitet wurden. Die Reform gibt den Regierungen mehr Mitsprache bei der Schuldensenkung, verstärkt andererseits aber die Sanktionen bei Verstössen. Auf der Strecke blieb allerdings das Ziel, die Regeln zu vereinfachen. Dafür mussten zuviele Interessen in den Kompromiss einfliessen.

«Die Regeln sind realistischer, sie entsprechen der Realität nach der Pandemie und berücksichtigen auch die Lehren aus der grossen Finanzkrise», sagte die spanische Wirtschaftsministerin Nadia Calviño auf einer Pressekonferenz nach der Einigung. Spanien hat derzeit die rotierende EU-Ratspräsidentschaft inne und leitete die letzte Runde der Verhandlungen.

Der Hauptkonflikt in den Verhandlungen verlief zwischen den von Deutschland angeführten Budgetfalken, die harte Ziele für den Schuldenabbau forderten, und den sich hinter Frankreich und Italien versammelnden Ländern, die auf ausreichende Mittel für Verteidigung und die Förderung der Digitalindustrie und des grünen Wandels beharrten.

Paris und Berlin konnten diese Woche ihre letzten Konflikte lösen und damit den Weg ebnen für einen Kompromiss der gesamten Union. «Diese Regeln werden in den kommenden Jahren überall in Europa finanzielle Stabilität und solide öffentliche Finanzen garantieren», sagte der französische Finanzminister Bruno Le Maire in einem Video auf X, dem früheren Twitter. «Zum ersten Mal in 30 Jahren erkennt dieser Stabilitätspakt die Bedeutung von Investitionen und Strukturreformen an.»

Die neuen Regeln geben den Mitgliedstaaten einen gewissen Spielraum bei den Militärausgaben, da die russische Invasion in der Ukraine die Verteidigung an die Spitze der Prioritätenliste gebracht hat. Investitionen in gemeinsame EU-Prioritäten, einschliesslich der grünen Transformation und der Förderung der Digital- und Verteidigungsindustrie, können den Zeitraum, in dem ein Land seine Budget ausgleichen muss, von vier auf sieben Jahre verlängern.

Die alten Regeln würden im Januar wieder unverändert in Kraft treten, was für einige Länder schwer zu verkraften wäre. Die Minister wollten vor Jahresende eine politische Einigung erzielen, um Zeit zu haben, die Gesetzesreform bis zum Frühjahr – und damit vor den EU-Wahlen im Juni – abzuschliessen.

(Bloomberg)