«Die Hamas ist keine terroristische Organisation», sagte Erdogan am Mittwoch in einer Rede. «Die Hamas ist eine Befreiungsgruppe, die kämpft, um ihr Land und ihr Volk zu schützen.» Der Sprecher des israelischen Aussenministeriums Lior Haiat wies dies entschieden zurück. Die Hamas sei eine Terror-Organisation, die schlimmer sei als der Islamische Staat (IS), schrieb er auf dem früher als Twitter bekannten Kurznachrichtendienst X. «Selbst der Versuch des türkischen Präsidenten, die Terror-Organisation zu verteidigen, und seine aufstachelnden Worte werden nichts an den Schrecken ändern, die die ganze Welt gesehen hat.»

Händler an der Börse in Istanbul führten einen anschliessenden Kursrutsch auf Erdogans Aussage zurück. Der Index BIST-100 gab im Verlauf sieben Prozent nach, der Handel wurde zunächst zwei Mal automatisch ausgesetzt. «Nach den Äusserungen von Präsident Tayyip Erdogan verstärkte sich der Ausverkauf», sagte ein Analyst, der nicht namentlich genannt werden wollte. «Mit der Eskalation der geopolitischen Risiken ist eine Fortsetzung des Ausverkaufs am Aktienmarkt zu erwarten.»

Auch Italien kritisierte Erdogans Bezeichnung der Hamas als Befreiungsorganisation. Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini von der weit rechts stehenden Lega nannte sie «abscheulich». Er werde Aussenminister Antonio Tajani vorschlagen, den türkischen Botschafter einzubestellen.

Erdogan forderte in seiner Rede vor Abgeordneten seiner konservativ-islamischen AK-Partei zudem eine umgehende Feuerpause zwischen der Hamas und Israel. Die Angriffe auf den Gazastreifen müssten sofort beendet werden, ebenso die Angriffe auf israelisches Gebiet. Die israelischen Angriffe und die Unterstützung dafür kämen einem «Mord» und einer «Geisteskrankheit» gleich. Die «für Israel vergossenen Tränen des Westens seien eine Manifestation von Betrug». Die Türkei unterstützt die palästinensische Bevölkerung unter anderem mit Hilfslieferungen, sie befürwortet eine Zwei-Staaten-Lösung und gewährt Hamas-Mitgliedern Unterschlupf. Die Regierung in Ankara hatte ihre Vermittlung im Gaza-Krieg angeboten.

Israel habe die guten Absichten der Türkei ausgenutzt, sagte Erdogan weiter. Er werde daher nicht wie geplant nach Israel reisen. «Wir haben kein Problem mit dem israelischen Staat. Aber wir haben Probleme mit Israels Politik gegenüber den Palästinensern.» So müsse Israel seinen «Siedlungsterror» in Ramallah im Westjordanland und anderswo beenden. Solche jüdischen Siedlungen auf besetztem Gebiet werden seit langem gebaut, sind international aber nicht anerkannt. Die Vereinten Nationen haben per Resolution die sofortige und vollständige Einstellung des Siedlungsbaus gefordert.

Die Hamas hatte am 07. Oktober überraschend Israel angegriffen und damit den Gaza-Krieg ausgelöst. Nach israelischen Angaben tötete sie dabei 1400 Menschen und verschleppte mehr als 220 Geiseln, darunter zahlreiche Nicht-Israelis. Etliche Länder stufen sie als Terror-Organisation ein. Bei israelischen Angriffen auf den Gazastreifen wurden nach Angaben der dortigen Behörden bislang mehr als 6500 Menschen getötet.

(Reuters)