Vor nicht einmal zwei Jahren noch waren die Erwartungen riesig: Blockchain, die dezentrale Datenkette, würde die Wirtschaft revolutionieren. Weil die Blockchain prinzipiell einen direkten Austausch zwischen Geschäftspartnern ermöglicht, könne die Finanzbranche als Intermediär mit der Zeit ausgeschaltet werden, hiess es.

Überhaupt herrschte in den Tech-Hubs eine fiebrige Gewissheit, dass Anwendungen mit der Distributed-Ledger-Technik (DLT), wie das System der Dokumentation von Transaktionen auch bezeichnet wird, fast grenzenlos sein dürften. Doch bis jetzt sind es in erster Linie Blockchain-basierte Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum, über welche die Technologie im Alltag einer grossen Zahl von Marktteilnehmern eine Rolle spielt.  

 

 

Investoren wiederum haben zum Teil massiv Geld verloren, und dies nicht nur beim Spekulieren mit Bitcoin. Initial Coin Offerings (ICOs), bei denen Start-ups über eine Kryptowährung Geld einsammeln, sind reihenweise gefloppt. Auch die globale Kontroverse um die Facebook-Währung Libra, die auf einer eigenen Blockchain basieren soll, hat die ganze Thematik eher in ein schiefes Licht gerückt. Auf dem "Hype Cycle" der Blockchain ist man derzeit eher im Tal der Desillusionierung und nicht nicht mehr in der Phase der hohen Erwartungen. 

Es wird weiter viel getestet

Zum allgemeinen Gefühl der Ernüchterung trägt bei, dass etwa in den USA mehr und mehr Firmen oder staatliche Stellen den vor nicht allzu langer Zeit eilends geschaffenen Führungsposten "Head of Blockchain" wieder abgeschafft haben. Doch Umfragen zeigen auch, dass Unternehmen in der Frage des Nutzens der Blockchain insgesamt gespalten sind.

Mehr und mehr Unternehmen schätzen, dass die Distribution-Ledger-Technik ein transparentes Nach- und Rückverfolgen von Transaktionen erlaubt, die in zahlreichen Industrien angewandt werden kann. Viel zitiert ist das Beispiel des französischen Handelskonzerns Carrefour, der mithilfe der Blockchain die Sicherheit von Lebensmittellieferungen optimiert hat. In der Schweiz hat die Migros im September ein ähnliches Projekt lanciert.

Auch Fintechs und Finanzkonzerne probieren weiter viel aus. So hat die Credit Suisse Anfang 2019 eine komplette Fondstransaktion über die Blockchain laufen lassen (cash berichtete). Auch Privatbanken, Asset Manager und Versicherer sind weiter sehr an solchen Lösungen interessiert, wie Nils Reimelt von der Beratungsfirma Capco sagt. "Das Problem ist aber: Banken fassen dafür ihre Informatik nicht an."

Die Blockchain braucht ein Ökosystem

Reimelt sieht zwei Probleme, welche den Weg zu einer breiten Anwendung der Blockchain in der Finanzindustrie noch für Jahre erschweren können. Zum einen erfordere die Blockchain, dass ganze Geschäftsmodelle neu gedacht werden müssten. "Dabei gibt es auch Verlierer, die in der neuen Welt keine Rolle mehr haben." Zum andern brauche es ein komplettes Ökosystem, um Anwendungen auf der Blockchain zum Erfolg zu verhelfen: "Die Blockchain isoliert nützt nicht viel", sagt Reimelt.

Eine noch junge Initiative von Teilen der Finanzindustrie ist die Tokenisierung von Assets. Etwa die UBS und die SIX Group, aber auch der Telekomkonzern Swisscom engagieren sich bei dieser Anwendung, bei der Wertpapiere, aber auch Anteile an anderen Vermögenswerten wie beispielsweise Kunstobjekten oder Immobilien in Form von Token einfacher handelbar werden sollen.

Mithilfe der Blockchain sollen Assets liquider und der Handel kostengünstiger werden. Aber viele Fragen seien noch offen, wie Reimelt in Erinnerung ruft: Beispielsweise die Frage, wie ein Kunstwerk, das über Token im Besitz einer grossen Zahl von Shareholdern sei, versichert werde. Und: "Tokenisiert werden muss alles, auch das Bargeld – sonst ergeben solche Transaktionen keinen Sinn. Nur so kann man alle Vorteile der Blockchain zünden."

Was funktioniert, was ergibt keinen Sinn?

Trotz aller Schwierigkeiten wird die Stossrichtung der Unternehmen insgesamt präziser. Grosse Unternehmen interessiert heute viel konkreter, wie die Blockchain ihnen ganz kommerziellen Nutzen bringen kann. "Der Nebel löst sich etwas auf", sagt der Luzerner Bankenprofessor Andreas Dietrich. "Die Unternehmen verstehen in der Zwischenzeit besser, was funktioniert und was derzeit weniger Sinn macht."

In der Handelsfinanzierung haben 13 europäische Banken, darunter die UBS, die Deutsche Bank, HSBC, Santander, Nordea und Société Générale, mit we.trade eine gemeinsame Plattform geschaffen: "Dafür ist die Blockchain eine gute Methode", sagt Dietrich. Die Distributed-Ledger-Technik macht die Handelsfinanzierung transparenter, einfach nachverfolgbar und vor allem schneller.

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"Erste Pilottransaktionen haben gezeigt, dass dank der Abbildung auf der Blockchain, die Dauer der Transaktion statt zwei Wochen nur noch ca. 48 Stunden beträgt", sagt Dietrich. Doch auch er sagt: Eine Schwierigkeit bei Projekten wie we.trade sei, dass dafür erst ein Ökosystem aufgebaut werden müsse.

China investiert massiv

Dass definitiv nicht das letzte Stündlein der Blockchain geschlagen hat, zeigt auch ein Blick auf die andere Seite der Welt. Soeben haben chinesische Banken einen Milliardenpool erstellt, um eine neue Banken-Blockchain aufzubauen. Wie das Beispiel von We-Chat aus dem Hause Tencent zeigt, hat China es bereits geschafft, um ein Digitalisierungsprodukt herum eine ganze Plattform zu bauen. Mit der ursprünglichen Messaging-App sind heute Social-Media-Anwendungen, Geldtransaktionen und weitere Funktionen verknüpft.

Möglich ist, dass China schlussendlich dem Rest der Welt den Weg in Sachen Blockchain weist – vor dem Hintergrund allerdings, dass in China Technologie nicht für die Weiterentwicklung der Finanzindustrie und der Wirtschaft gefördert wird, sondern sie aus Sicht des Staats auch zahlreiche Kontrollmöglichkeiten mit sich bringt.