Hoch verschuldete EU-Staaten sollen mehr Zeit bekommen, ihre Defizite abzubauen, und auch zusätzliche Spielräume für Investitionen. Gleichzeitig wurden die Vorgaben an einigen Stellen verschärft, um mehr Sicherheitspuffer zu haben. Ein Überblick:

Fokus auf die Ausgaben

Viele Regierungen hatten in der Vergangenheit geklagt, die von der EU verlangten Vorgaben nicht gut genug beeinflussen zu können. Das soll sich ändern, indem sich der Fokus verschiebt - weg vom Endergebnis des jährlichen Defizits und des Schuldenstands hin zu den Ausgaben. Diese Grösse ist deutlich leichter zu steuern. Staaten mit zu hohen Schulden sollen künftig mit der EU-Kommission einen individuellen Plan ausarbeiten, um die Werte über einen Zeitraum von vier Jahren zu verbessern. Dabei wird bei den Primärausgaben angesetzt, um Defizite von über drei Prozent der Wirtschaftsleistung wieder unter die Obergrenze zu bringen. Gleiches gilt bei Gesamtschuldenständen, die oberhalb der eigentlichen Grenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen.

Mehr Zeit bei Reformen und Investitionen

In Ausnahmefällen wird EU-Staaten ein Zeitraum von sieben Jahren eingeräumt, in dem sie ihre Werte verbessern müssen. Das gibt ihnen mehr Spielraum, wenn sie im Gegenzug bestimmte Reformen umsetzen oder von der EU-bevorzugte Investitionen tätigen, etwa um energieunabhängiger von Russland zu werden. Auf Druck von Italien wird es einen Automatismus für den Zeitraum von sieben Jahren geben, wenn bereits bestimmte Reformen und Investitionen mit Brüssel vereinbart sind. Diese müssen im Zusammenhang mit grünen Technologien oder der Digitalisierung im Rahmen der Auszahlungen aus dem riesigen Corona-Wiederaufbaufonds der EU stehen.

Zweiklassen-Gesellschaft

Künftig soll zwischen hoch verschuldeten und extrem hoch verschuldeten EU-Staaten differenziert werden - mit Schuldenständen von über 60 und 90 Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung. In letztere Gruppe fallen unter anderem Frankreich, Italien und Griechenland. Bei Werten über 90 Prozent müssen die Schuldenstände um mindestens ein Prozent pro Jahr reduziert werden. Für die erste Gruppe gilt eine Mindestvorgabe von 0,5 Prozent pro Jahr. Im Vergleich zu den bisherigen Regeln ist das Tempo damit deutlich geringer. Abgeschafft wird die sogenannte Zwanzigstel-Regel, die viele EU-Staaten überfordert und deswegen für grossen Unmut gesorgt hat. Diese sah vor, dass Länder mit einer Schuldenquote von über 60 Prozent jedes Jahr ein Zwanzigstel der Differenz zwischen 60 Prozent und der tatsächlichen Quote abbauen müssen. Das waren teilweise vier Prozent der Wirtschaftsleistung.

Sicherheitspuffer beim Defizit

Die Vorgabe zum maximal erlaubten Haushaltsdefizit von drei Prozent wird künftig strenger ausgelegt, worauf vor allem Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner gedrungen hatte. Die Obergrenze bleibt zwar, aber es wird ein Sicherheitsnetz eingezogen. 1,5 Prozent sollen als Puffer genutzt werden, um im Falle von Konjunktureintrübungen Spielräume zu haben und nicht gleich die Marke von drei Prozent zu reissen. Aufgebaut werden soll der Puffer durch geringere strukturelle Defizite, die vorliegen, wenn die laufenden Ausgaben immer wieder über den Einnahmen liegen. Bei Ländern mit einem Vier-Jahres-Plan soll das strukturelle Defizit um 0,4 Prozent pro Jahr abgebaut werden, bei Sieben-Jahres-Plänen um 0,25 Prozent. Damit wurden die bisherigen Regeln an dieser Stelle etwas gelockert. Bei der Berechnung der jeweiligen Verbesserung werden bis 2027 Zinszahlungen nicht berücksichtigt, was Frankreich besonders wichtig war. Auch dies schafft Spielräume für Investitionen.

Kontrolle

Bislang hatten Verstösse keine nennenswerten Konsequenzen für Schuldensünder. Ob es künftig anders wird, dürfte sich erst noch zeigen. Die EU-Kommission kann Disziplinarmassnahmen einleiten, an deren Ende auch Strafen stehen können. Aktiv werden kann die Brüsseler Behörde, wenn der vereinbarte Ausgabenpfad in einem Jahr um 0,3 Prozent der Wirtschaftsleistung überschritten wird. Bei der Betrachtung der Vier- beziehungsweise Sieben-Jahres-Zeiträume muss die Abweichung nach oben kumuliert mindestens 0,6 Prozent betragen.

(Reuters)