Steffen Cyris, Inhaber und Geschäftsführer des fränkischen Kühlthekenbauers Schrutka-Peukert, schwärmte auf der Weihnachtsfeier des Betriebs noch von endlich wieder besser gefüllten Auftragsbüchern und stimmte seine Mitarbeiter auf Mehrarbeit in diesem Jahr ein.
Nur Wochen später sah alles schlagartig ganz anders aus. Metzger und Bäcker klagten über die Streichung von Fördermitteln der Bundesregierung und begannen, Aufträge zu stornieren. Während das Land in die Rezession rutscht, macht sich Cyris Sorgen um die langfristige Perspektive seines Betriebs.
«Die Situation ist so angespannt — ich bin nicht sicher, ob ich ein Angebot eines Investors ablehnen würde, falls eines kommen sollte», sagt er.
Deutsche Familienunternehmen zunehmend verunsichert
Unter den Inhabern der rund drei Millionen deutschen Familienunternehmen, die nach wie vor das sprichwörtliche Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden, macht sich zunehmend Verunsicherung breit: Sie ringen mit überbordender Bürokratie, schwacher Konjunktur und in vielen Fällen mit fehlenden Nachfolgern. Viele dieser Unternehmen sind in traditionellen deutschen Branchen wie dem Maschinen- und Anlagenbau tätig. Ihre Probleme sind zwar nicht ganz neu, aber der wachsende Investitionsbedarf in neue Technologien und Verfahren bringt die Betriebe jetzt an ihre Grenzen.
«Die Zahl der zum Verkauf stehenden mittelständischen Unternehmen in Deutschland hat sich seit Jahren aufgestaut», sagt Jens Krane, Leiter Mergers & Acquisitions bei der Commerzbank, der Hausbank des deutschen Mittelstands. Die Corona-Pandemie und die sich ausbreitende Energiekrise haben viele an den Rand des Abgrunds gedrängt, und «die Kombination aus neuen regulatorischen Vorschriften und der Notwendigkeit, stark in die Transformation oder Vergrösserung von Unternehmen zu investieren, hat bei vielen Unternehmern ein Gefühl des ‘Mir reicht’s’ hervorgerufen», so der Banker.
«Was wir von deutschen Gründern und Eigentümern immer wieder hören, ist, dass die Komplexität der Unternehmensführung grösser ist als je zuvor», sagt Burc Hesse, Partner bei der Anwaltskanzlei Latham Watkins. Dies habe die Unternehmen stärker für einen möglichen Verkauf geöffnet, auch an Beteiligungsgesellschaften. In einem Klima, das viele als schwierig empfinden, «wird der Preis beim Verkauf eines Unternehmens immer weniger relevant. Die Struktur und das Know-how des Käufers sind entscheidend», so Hesse.
Steigende Energiekosten
Die Bedingungen sind seit dem letzten Jahr noch schwieriger geworden, als das Bundesverfassungsgericht der Praxis der Bundesregierung einen Riegel vorschob, Schattenhaushalte zur Finanzierung der Staatsausgaben zu nutzen. Beim neuen Sparkurs Berlins kamen auch Beihilfen für Unternehmen unter die Räder, die schon mit steigenden Energiekosten zu kämpfen hatten.
«Im German Mittelstand brodelt es», schreibt der Bonner Unternehmensberater Peter May in seinem Blog. «Fast wöchentlich erreichen mich Anrufe verunsicherter Familienunternehmer: ‘Sollen wir verkaufen? Müssen wir es vielleicht sogar? Lohnt es sich noch, in Deutschland Unternehmer zu sein?’»
Eines der prominentesten Beispiele war im vergangenen Jahr der Verkauf des hessischen Wärmepumpenherstellers Viessmann an den US-Konkurrenten Carrier Global für 12 Milliarden Euro. Der Deal löste einen Aufschrei wegen der möglichen Erosion des Industriestandortes Deutschland aus. Vorstandschef Max Viessmann erklärte gegenüber Bloomberg News jedoch, der Schritt sei notwendig gewesen, «um einen globalen, zukunftssicheren Klima-Champion mit mehr industrieller Grösse zu schaffen».
Im Rahmen der Transaktion wurde Viessmann einer der grössten Aktionäre und Verwaltungsratsmitglied von Carrier Global. Viessmann verwendet einen Teil seines Erlöses, um in das Investmentgeschäft einzusteigen, und plant, seine Family-Office-Aktivitäten auszubauen.
Bürokratie als Problem
May nennt auch die immer wieder beklagte Bürokratie als Problem, die aus Sicht der Eigentümer die Komplexität erhöht und vom Tagesgeschäft ablenkt. So wurde in Deutschland im vergangenen Jahr ein Gesetz eingeführt, das Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern verpflichtet, ein anonymes Hinweisgebersystem einzurichten, das zehntausende Euro kosten kann. Auch die Rückforderung von Rettungsbeihilfen aus der Pandemiezeit durch die Bundesregierung bereitet einigen Unternehmen zusätzliches Kopfzerbrechen.
«Deutschland erstickt an einer überbordenden, alle Lebensbereiche durchdringenden Bürokratie», sagt May.
Finanzminister Christian Lindner hat im vergangenen Monat einige dieser Bedenken aufgegriffen und darauf hingewiesen, dass Deutschland in den letzten zehn Jahren im Ranking der Wirtschaftsstandorte abgerutscht ist.
Deutschland sei «nicht mehr wettbewerbsfähig», sagte Lindner bei einer Bloomberg-Veranstaltung in Frankfurt am 5. Februar. Das Land werde ärmer, «weil wir kein Wachstum haben, wir fallen zurück.»
Nachfolgefrage als weitere Herausforderung
Eine weitere Herausforderung für die Familienunternehmen ist die Nachfolgefrage. Viele der aktuellen Inhaber gehören der Babyboomer-Generation an, die in der Ära des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen ist. Wenn sie das Rentenalter erreichen, ist es oft nicht einfach, einen Nachfolger in der Familie zu finden.
«Die Mentalität der Erben hat sich geändert, und immer weniger Firmenerben sind bereit, die Verantwortung ihrer Eltern als Geschäftsführer zu übernehmen. Vor einiger Zeit war das noch kein Thema», sagt Jan-Philipp Pfander, Partner bei Proventis Partners, einer Corporate-Finance-Boutique, die Familienunternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz beim Verkauf berät.
Die staatliche Förderbank KfW schrieb kürzlich, dass bis 2027 jährlich rund 125.000 kleine und mittlere Unternehmen auf neue Eigentümer übergehen und fast drei Viertel von ihnen die Nachfolge als Problem sehen. Und selbst wenn es einen Nachfolger gibt, ist ein Verkauf damit noch nicht vom Tisch.
Andere, wie Cyris, schauen sich ausserhalb Deutschlands und sogar Europas um.
Einen Teil des derzeit in Deutschland wegbrechenden Geschäfts gleicht Schrutka-Peukert dadurch aus, dass es seine Kühlräume zur Reifung von Dry-Aged-Rindfleisch unter der Marke The Aging Room in den USA vertreibt. Die Anlagen finden bei Gourmetrestaurants und Metzgereien von Kalifornien bis Florida so guten Absatz, dass Cyris schon überlegt, einen Investor an Bord zu holen.
«In Deutschland entwickelt, Made in USA — das könnte unser Weg sein», sagt er.
(Bloomberg)
2 Kommentare
Und WIR kaufen, weil es so billig ist.!
Für eine gute Wirtschaft braucht es günsiges Geld tiefe Energiekosten und sehr gut ausgebildete Menschen. Das alles wird jetzt und in Zukunft immer ein grösseres Problem. Wie geschrieben die Erben von grossen Firmen wollen und können nicht mehr nicht mehr das leisten wo ihre Vorfahren gearbeitet haben. Die Politik und die Bürger sind gefordert, damit es wieder besser wird. Die Chinesen werden den eurpäischen Markt mit ihren Produkten überschwemmen. Die Solarpennels und zukünftig die E-Autos kommen immer mehr aus China?