Nun wird es also konkret. Der Bundesrat hat am Freitag den Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung gegeben. Schweizer Konzerne, die heute weltweit weniger als 15 Prozent Gewinnsteuern bezahlen, werden ab 2024 zur Kasse gebeten. Ungefähr 200 Schweizer Konzerne und 2000 ausländische Holdings mit einer Schweizer Sitzgesellschaft werden betroffen sein. Das sind solche, einen Umsatz von mindestens 750 Millionen Euro erzielen.
Die meisten dieser Firmen sind in Zug, Schwyz, Genf, Luzern, Basel, der Waadt und Obwalden stationiert, wo die Besteuerung bisher tiefer liegt als die von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verlangten 15 Prozent des Gewinns. Der Kanton Zürich dürfte wohl nicht davon betroffen sein, weil dort die Besteuerung von Konzernen um die 16 bis 18 Prozent liegt.
Im Visier der Mindestbesteuerung stehen hingegen Pharmafirmen wie Novartis und Roche, Nahrungsmittelhersteller wie Nestlé, Chemiekonzerne wie Ems-Chemie, Rohstoffhandelsfirmen wie Mercuria und Hauptquartiere von Weltfirmen wie Nissan, Chiquita, Vale, Dupont oder Ferring.
Ein Beispiel: Wenn Roche bisher 13 Prozent Gewinnsteuern in Basel ablieferte, dann wird sie künftig mindestens 15 Prozent Steuern zahlen müssen, sowohl für die Schweizer Holding als auch für ausländische Tochtergesellschaften, solange diese im Ausland weniger als 15 Prozent Gewinnsteuern abliefern. Das Finanzdepartement von Ueli Maurer schätzt den Mehrertrag über alle Firmen gesehen auf 1 bis 2,5 Milliarden Franken.
Wie kompensieren?
Die grosse Frage ist: Was macht die Schweiz mit diesem zusätzlichen Geld? Und soll den Konzernen eine wirtschaftliche Kompensation geboten werden?
Lange wurden Ideen herumgeboten, der Staat könne den Konzernen etwas zurückgeben, indem er "gezielt" hilft, etwa in Form von Lohnzuschüssen, verbilligten Liegenschaften oder gar tieferen Einkommensteuern für Mitarbeitende. Informationen des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) zeigen nun: Eine selektive Kompensation nur für Konzerne zu bieten, wäre nicht rechtskonform. Die OECD würde sie mit Prüfaufträgen (Peer reviews) aufdecken und international an den Pranger stellen. Nur wenn kompensatorische Vorteile allen zugutekommen, können sie durchgehen. Ein Kanton wie Zug oder Basel müsste also Steuersenkungen für alle beschliessen oder Lohnzuschüsse allen Firmen und Angestellten gewähren.
Der Finanzverwalter des Kantons Zug, Heinz Tännler, bestätigt die Einschätzung des EFD: "Kompensatorische Massnahmen dürfen nicht selektiv zugunsten einzelner Konzerne sein, die mehr Steuer zahlen werden als bisher." Am wahrscheinlichsten sei für ihn eine höhere fiskalische Förderung von Bildung, Forschung und Entwicklung als bisher, die hauptsächlich Konzernen zugutekäme.
Tännler geht noch weiter und denkt bereits an die Volksabstimmung zu dieser Reform. Sie wird voraussichtlich im Sommer 2023 stattfinden.
"Eine nackte Steuerreform wird es an der Urne schwer haben. Daher sind die Kantone und der Bund gut beraten, dem Stimmvolk zusätzliche Vorteile vorzuschlagen." Ähnlich wie es bei der letzten Gewinnsteuerreform 2019 der Fall war: Damals wurde die Linke mit einem zusätzlichen AHV-Lohnbeitrag ins Boot geholt. Die Reform kam mit grossem Mehr an der Urne durch.
Tännler denkt an höhere Subventionen von Kindertagesstätten, eine generelle Senkung der Lohnnebenkosten oder einen zusätzlichen Zustupf an die AHV. Arbeitsgruppen national und kantonal würden derzeit Vorschläge erarbeiten, sagt Tännler. Diese würden in den kommenden Wochen publiziert werden.
Ein Stempel "OECD-steuerkonform" als Ziel
Ueli Maurers Finanzdepartement bringt neben kompensatorischen Massnahmen noch einen zweiten Vorschlag ins Spiel: administrative Entlastungen für Konzerne im Steuerbereich. Sie bedingt, dass kantonale Steuerämter und die Eidgenössische Steuerverwaltung sich einen Ruck geben und ihre Prozesse vereinfachen. "Viele Firmen haben die Furcht vor einem steuerlichen Compliance-Monster, vor allem im Ausland", sagte ein Experte der Eidgenössischen Steuerverwaltung am Donnerstag. Dies sei eine Chance.
Hier könnte die Schweiz ihre Trümpfe ausspielen als kleiner, praktisch orientierter und verhältnismässig unbürokratischer Fiskus: "Die Schweiz könnte eine Art OECD-Zertifikat für internationale Steuerkonformität herausgegeben. Damit wäre den Konzernen schon viel gedient." Sie erhielten Rechtssicherheit und würden auf einen allfälligen Wegzug in konkurrierende Länder verzichten.
Gesetzesprojekt im TGV-Tempo
Bis im Juni will Finanzminister Ueli Maurer die Botschaft verabschieden. Danach ist das Parlament am Zug. Mitte nächsten Jahres soll das Volk darüber abstimmen können, denn die Reform verlangt eine Verfassungsänderung. Diese ist nötig, weil Konzerne mit einem Umsatz über 750 Millionen Franken Umsatz ungleich besteuert werden im Vergleich zu allen übrigen Firmen. Heute verpflichtet die Verfassung zu einer gleichmässigen Besteuerung aller Firmen und Konzerne. Diese Volksabstimmung soll also diese Ungleichbehandlung der grossen und kleinen Unternehmen mit internationalem Geschäft "legalisieren".
Ungleich behandelt sein werden auch gewisse Branchen. Finanzinstitute und Rohstoffabbaufirmen kommen ungeschoren davon. Schweizer Banken wie die UBS, die CS oder Pictet werden nicht betroffen sein, ebenso wenig sowie beispielsweise die Zuger Glencore. Sie handelt nicht nur, sie fördert auch Rohstoffe.
Viele ausländische Holdings sind wegen der Steuern hier
Die Schweiz hat diese Reform nicht gesucht. Es war die G20, die Gruppe der mächtigen Industrie- und Entwicklungsländer, die diese Reform letzten November durchgedrückt hat. Ein Abseitsstehen der Schweiz hätte potenziell schwere Konsequenzen auf den Wirtschaftsstandort und die Steuereinnahmen. Denn etliche der 2000 ausländischen Sitzgesellschaften in der Schweiz sind vor allem wegen tiefer Steuern in die Schweiz gezogen. Sollten sie nach Inkrafttreten der Reform feststellen, dass anderswo bessere Bedingungen herrschen, dürften sie geneigt sein, den Standort zu wechseln. Das EFD schätzt, dass Konzerne in einem Zyklus von ungefähr acht Jahren die Standortfrage für ihre Konzertteile überprüfen.
Die heutige Vernehmlassung behandelt nur einen Teil der OECD-Reform, die zwei Teile hat: die Mindestbesteuerung (die sogenannte "Säule 2") und die internationale Sonderbesteuerung von digitalen Konzernen wie Google, Amazon, Booking.com, Airbnb ("Säule 1"). Dieser zweite Teil der Reform ist aufgeschoben. Deshalb wartet auch der Bundesrat zu. Zuerst müssen sich die Akteure bei der OECD und der G20 auf die Details einigen. Dies dürfte wegen des Widerstands der USA als Sitzland vieler digitaler Konzerne noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Dieser Beitrag erschien in der Handelszeitung unter dem Titel «Globale Mindeststeuer: Die Frage ist, wer profitieren soll».