Was bedeutet «Gemeinsamer Wohlstand»?

Geprägt wurde der Begriff in den 1950er Jahren von Staatspräsident Mao Zedong. In den 1980er Jahren nahm der damals starke Mann Deng Xiaoping das Motto wieder auf, der eine durch die Kulturrevolution zerstörte Wirtschaft modernisieren wollte. Deng gestand Menschen und Regionen zu, zuerst reich zu werden, um das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen. Das alles mit dem Ziel, am Ende allgemeinen Wohlstand zu erreichen.

Mit der Politik des "Sozialismus mit chinesischen Merkmalen" stieg die Volksrepublik zum Exportweltmeister und zur zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt nach den USA auf. Hunderte Millionen Menschen wurden durch den rasanten Aufschwung aus bitterer Armut geholt.

Zugleich vertiefte sich die Ungleichheit, insbesondere zwischen städtischen und ländlichen Gebieten. Diese Kluft bedroht den sozialen Zusammenhalt. In keinem anderen Land gibt es so viele Milliardäre. Der Gini-Koeffizient - ein international anerkanntes Mass für die gerechte Verteilung von Wohlstand - liegt in China bei 0,46 Punkten. Liegt der Wert bei null, dann besitzen alle gleich viel, bei einem Wert von eins gehört einer Person alles. In der EU beträgt er etwas über 0,30.

Was wird unternommen?

Das Streben nach allgemeinem Wohlstand umfasst zahlreiche politische Massnahmen - von der Eindämmung der Steuerhinterziehung bis zur Begrenzung der Arbeitszeiten für Angestellte im Technologiesektor. Auch ein Verbot gewinnorientierter Nachhilfe in den wichtigsten Schulfächern wurde erlassen. Zugleich wurde die Zeit begrenzt, die Minderjährige mit Videospielen verbringen dürfen.

Ein Pilotprogramm in der Provinz Zhejiang, einer der reichsten Regionen Chinas, soll die Einkommensunterschiede dort bis 2025 verringern. Offiziell heisst es, gemeinsamer Wohlstand bedeute nicht Gleichmacherei. Ein hoher Parteifunktionär sagte, man wolle nicht, "die Reichen zu töten, um den Armen zu helfen".

Wie soll dies erreicht werden? 

Die chinesische Führung will die Besteuerung und andere Hebel zur Einkommensumverteilung einsetzen mit dem Ziel, den Anteil der Bürger mit mittlerem Einkommen zu erhöhen. Auch sollen die Einkommen der Armen erhöht und "übermässige Einkommen rationell angepasst" werden. Peking hat reiche Unternehmen und Einzelpersonen ausdrücklich dazu ermutigt, über die sogenannte "dritte Verteilung" - die sich auf Wohltätigkeit und Spenden bezieht - mehr zur Gesellschaft beizutragen.

Schwergewichte der Tech-Branche haben inzwischen umfangreiche Spenden und Unterstützung für Katastrophenhilfe angekündigt. Der Online-Gaming-Gigant Tencent etwa will 100 Milliarden Yuan (etwa 14 Milliarden Franken) für den "allgemeinen Wohlstand" ausgeben.

Die Regierung will zudem mit einer Mietpreisbremse mehr erschwinglichen Wohnraum schaffen. Die Kosten für die Anmietung einer Wohnung in den Städten dürfen künftig um maximal fünf Prozent pro Jahr steigen. "Neue Stadtbewohner und junge Menschen haben erst seit relativ kurzer Zeit gearbeitet und verfügen nur über ein geringes Einkommen, so dass sie kaum in der Lage sind, ein Haus zu kaufen oder Miete zu zahlen", erklärte der stellvertretende Wohnungsbauminister Ni Hong.

Was kommt noch?

Seit langem diskutierte Reformen wie die Einführung von Vermögens- und Erbschaftssteuern zur Bekämpfung des Wohlstandsgefälles könnten nun folgen. Politische Insider gehen allerdings davon aus, dass solche Änderungen noch Jahre auf sich warten lassen werden. Über eine Vermögenssteuer wird bereits seit Jahren diskutiert. 2011 wurden dazu in Shanghai und Chongqing zwei Pilotprojekte durchgeführt, aber es wurden kaum Fortschritte erzielt. Weitere Massnahmen wären die Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen und des sozialen Sicherheitsnetzes.

Wie werden sich die Massnahmen auf die Wirtschaft auswirken?

Die chinesische Führung dürfte vorsichtig vorgehen. Schliesslich ist die Privatwirtschaft ein wichtiger Motor für Wachstum und Beschäftigung. Das soll nicht gefährdet werden, sagen Analysten.

Allerdings könnte es zu einer wirtschaftlichen Neuausrichtung kommen - weg von der Abhängigkeit von Exporten und Investitionen, hin zu einem stärker konsumgetriebenen Wachstum. Allerdings bestehe dabei die Gefahr, dem erfolgreichen Privatsektor zu schaden, sagen Ökonomen. Steigende Einkommen und verbesserte öffentliche Dienstleistungen könnten sich zugleich vor allem in ländlichen Gebieten positiv auf den Konsum auswirken. Auch ein besseres soziales Netz könnte die Kauffreude der Chinesen ankurbeln, die derzeit viel Geld für das Vorsorgesparen ausgeben müssen.

Die Bemühungen stützen Xis Strategie des "doppelten Kreislaufs" für die wirtschaftliche Entwicklung. Diese zielt darauf ab, Binnennachfrage, Innovation und Eigenständigkeit Chinas anzukurbeln. Entwickelt wurde sie nicht zuletzt angesichts der Spannungen im Verhältnis zu den USA. Deren Ex-Präsident Donald Trump hatte etwa Strafzölle auf chinesische Waren eingeführt. 

(Reuters/cash)