Wladimir Putin ist für Angela Merkel die ideale Person, um ihre aussenpolitische Philosophie deutlich zu machen. "Ich bin der Meinung, dass auch kontroverse Themen nur im Gespräch und durch Gespräche gelöst werden können", sagte die Kanzlerin am letzten Wochenende, neben dem russischen Präsidenten, den sie auf Schloss Meseberg empfangen hatte.

Es gibt keinen Präsidenten ausserhalb der EU, mit dem sie in den letzten Jahren häufiger gesprochen hat - trotz oder wegen der vielen Streitthemen von der Ostukraine bis Syrien. Mehrfach betont sie, dass Russland für die Sicherheit und Entwicklung Europas entscheidend sei - man also im Dialog bleiben müsse.

Nun könnten sich die Kontakte wegen der veränderten geopolitischen Lage sogar noch verstärken. Im Mai besuchte Merkel Putin am Schwarzen Meer, nun betrat Putin erstmals seit 2016 deutschen Boden. Denn es gibt derzeit die Aussicht, einige gemeinsame Interessen selbst bei den grossen Streitthemen auszumachen. Auch die Unberechenbarkeit von US-Präsident Donald Trump zwingt derzeit die anderen Regierungen der Welt, sich enger abzusprechen.

Dabei ist es wenig überraschend, dass sich Putin derzeit ähnlich wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan intensiver um Kontakte bemüht. Vor allem die Sanktionen der USA, aber auch die der EU machen der russischen Wirtschaft zu schaffen. Putins Hoffnung auf einen Moskau-freundlichen Kurs Trumps ist zerstoben, auch wenn dieser Russland zurück im G7-Kreis haben möchte.

Auch Russlands Versuche, wieder verstärkt militärische Macht ausserhalb des Riesenreiches zu demonstrieren, strapazieren die Finanzen des Landes. Westliche Militärexperten sprechen von einem "Overstretch", also einem Engagement, das auf Dauer die Mittel Russlands übersteigt.

Putin hat seine Hauptziele erreicht

Anders als Erdogan steht Putin aber nicht mit leeren Händen da. Denn aus Sicht von EU-Diplomaten hat er ein Hauptziel etwa in der Ukraine bereits erreicht. Putin hat einen bestimmenden Einfluss auf die Separatisten in der Ostukraine. Wie in Georgien 2008 hat sich Russland damit einen dauerhaften Einfluss in einer ehemaligen Sowjetrepublik gesichert oder zumindest eine Art Pufferzone zu westlichen orientierten Regierungen geschaffen.

Der Bau einer Brücke vom russischen Festland zur annektierten ukrainischen Halbinsel Krim hat zudem den ukrainischen Hafen Mariupol im Nordosten des Schwarzen Meeres abgeschnitten, ohne dass der Westen daran viel ändern kann. In Moskau setzt man nach Ansicht deutscher Diplomaten darauf, dass sich die prowestliche Führung in Kiew durch Korruptionsskandale selbst zerlegt und die Stimmung in der Ex-Sowjetrepublik irgendwann wieder umschlägt.

In Syrien ist die Lage ähnlich: Militärisch hat Russland sein Ziel erreicht, durch einen Sieg der syrischen Armee über die Aufständischen den Schutz seiner Marine- und Luftwaffenbasis in dem Land zu sichern. Putin hat Russland damit zurück auf die Weltbühne geholt und die Grenzen der Supermacht USA aufgezeigt.

Allerdings zeigt Syrien auch das Limit von Putins Macht. Denn Russlands Stärke gründet vor allem auf dem Militär. Um den neu gewonnenen Einfluss zu sichern, braucht Putin aber das Geld und die politische Legitimität der Europäer. Hier gibt es Interessensübereinstimmungen auch mit Deutschland. Nicht ohne Grund verknüpfte Putin die Forderung nach EU-Hilfe beim Wiederaufbau mit dem Hinweis, dass dann auch Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren könnten.

So kritisch die EU und Merkel Syriens Machthaber Baschar al-Assad sehen, so gross ist das Interesse an einem halbwegs stabilen Syrien. Merkel macht in Meseberg deutlich, dass sie ein Engagement der Europäer mit einem Preisschild versieht: Nötig seien eine Verfassungsreform und die Vorbereitung von Wahlen.

Mit anderen Worten: Sollten die Schutzmacht Russland und die EU hier zusammenkommen, könnte dies auf Kosten Assads und möglicherweise auch des Iran gehen, den auch Israel so weit wie möglich in Syrien wieder zurückdrängen möchte.

Zerstörung der EU-Einheit als Ziel?

Putins Betonung der wirtschaftlichen Beziehungen machte in Sotschi wie in Meseberg deutlich, dass er Deutschland aus einem weiteren Grund braucht: Ohne Merkels Unterstützung hat er keine Chance, dass die Gaspipeline Nordstream 2 durch die Ostsee gebaut wird. Die braucht er aber, um die Staatseinnahmen Russlands zu sichern. Angesichts der US-Sanktionsdrohung auch gegen ausländische Firmen, die an dem Projekt beteiligt sind, sucht er den Schulterschluss - wie schon beim Atomabkommen mit Iran oder dem Pariser Klimaschutzabkommen, die beide von Trump gekündigt wurden.

Der gewiefte Taktiker aus Moskau deutete in Meseberg an, dass er noch andere Asse im Ärmel hat - nämlich die mögliche Zerstörung der EU-Einheit. So kam Putin demonstrativ von der Hochzeit der österreichischen Aussenministerin Karin Kneissl.

Für Merkel sollte dies wohl der Hinweis sein, dass die rechten und russlandfreundlichen Regierungen Österreichs und Italiens so etwas wie trojanische Pferde in der EU werden könnten - die Ende des Jahres möglicherweise die anstehende Verlängerung der EU-Sanktionen gegen Russland verhindern. Denn wer stimmt schon gegen den Ehrengast seiner eigenen Hochzeit? 

(Reuters)