Der Lone Star State, Sitz der Bush-Präsidentenfamilie und Heimat grosser Cowboy-Hüte, gilt seit Jahrzehnten als Hochburg der Republikaner. Auf der Wahllandkarte bildet der zweitgrösste Staat mit 29 Millionen Einwohnern ihre "rote" Bastion als Gegengewicht zu dem "blauen" Kalifornien der Demokraten. Aber in diesem Jahr könnte es anders werden: Zum Entsetzen der Republikaner und zur Freude der Demokraten könnte Texas die Farbe wechseln. Die Folgen für die US-Politik wären enorm.

Die wohl wichtigste: Präsident Donald Trump hätte in diesem Fall eindeutig verloren, denn Texas stellt 38 der 270 zum Sieg benötigten Wahlleute. Dabei dürfte der Ausgang dort nicht im engeren Sinne wahlentscheidend sein. Die Statistik-Website FiveThirtyEight führt Texas nicht unter den ersten zehn Staaten, die nach ihren Berechnungen über den Sieg entscheiden dürften wie etwa Pennsylvania oder Florida.

Jedoch würde der Verlust von Texas unterstreichen, wie schwer die Niederlage wäre - etwa so, als wenn in Deutschland die Union bei einer Bundestagswahl auch noch Bayern verlieren würde. Der ehemalige demokratische Abgeordnete Beto O'Rourke, selbst aus Texas, sagte der "New York Times", Trump könne in diesem Fall auch nicht mehr wirklich Wahlfälschung für seine Niederlage verantwortlich machen.

«Auf zehn Jahre unsere Landkarten festgezurrt»

O'Rourke weist zudem auf einen längerfristigen Effekt hin. In den USA werden alle zehn Jahre die Wahlkreise von der Partei neu gezogen, die im jeweiligen Bundesstaat an der Macht ist. Grundlage dafür ist die landesweite Volkszählung, die in diesem Jahr stattfand und auf deren Basis 2021 die Wahlkreisgrenzen neu gezogen werden.

Bei einem Sieg auch auf Landesebene in Texas könnten die Demokraten sich durch dieses "gerrymandering" den strukturellen Vorteil sichern, den die Republikaner jetzt geniessen. Damit wären "auf zehn Jahre unsere Landkarten festgezurrt", sagt O'Rourke. Profitieren würden davon auch die Demokraten "weiter unten" auf den Stimmzetteln - die Kandidaten für Texas' Sitze im Kongress oder auf Landesebene.

Angesichts dieser Gelegenheit setzen die Demokraten mehr Ressourcen in Texas ein. Einer der ersten Schritte kam im Juli, als das Wahlkampfteam des Demokraten Joe Biden dort 65'000 Dollar für Wahlwerbung ausgab. "Im Prinzip haben wir eine Gelegenheit gesehen", sagte damals Molly Ritner von Bidens Mannschaft der Nachrichtenagentur Reuters zu der für US-Verhältnisse eher bescheidenen Summe.

Es gebe 17 Bundesstaaten, bei denen die Demokraten sich Hoffnungen auf einen Wechsel machten. Jetzt werde versucht, so viele Wege zum Sieg zu öffnen wie möglich. Der Landesverband der Demokraten in Texas verweist selbst darauf, wie ungewöhnlich der Vorgang ist. Ein spezifisch auf Texaner zugeschnittener Fernsehspot des Biden-Teams sei der erste seiner Art seit 25 Jahren.

Republikaner sprechen von «Wahnvorstellungen»

Allerdings mangelt es nicht an Skeptikern, allen voran unter den Republikanern. Die Trump-Sprecherin Samantha Cotten erklärte zum Vorstoss der Demokraten im Juli, die Demokraten hätten "Wahnvorstellungen" wenn sie glaubten, Texas erobern zu können. "Wir laden das Biden-Wahlkampfteam dazu ein, sein Geld durch eine Investition in den Lone Star State zu verbrennen", spottete sie. Auch Experten zeigen sich skeptisch. Viele von ihnen erwarten, dass die Republikaner kurz vor dem Wahltag am 3. November noch zulegen werden. Zudem gewann Trump vor vier Jahren in Texas mit einem satten Vorsprung von neun Punkten.

Selbst wenn die Demokraten in diesem Jahr scheitern sollten, die Zeiten der unangefochtenen roten Hochburg könnten für Texas vorbei sein. Hinter der politischen Entwicklung steht ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel, getrieben von der wachsenden Bevölkerung. Seit 2016 haben in Texas mehr als zwei Millionen Bürger erstmals Wahlunterlagen beantragt.

Eine Mehrheit von ihnen gehört Minderheiten wie den Hispanics und Afroamerikanern an, 1,6 Millionen von ihnen sind jünger als 35 Jahre alt - klassische Demokraten-Wähler. Texas sei nicht im Rennen, weil eine grosse Zahl von Republikanern plötzlich überlaufe, sagt Manny Garcia vom Landesverband der Demokraten. "Texas ist im Rennen, weil es mehr von uns gibt als von ihnen." 

(Reuters)