"Es wirkt, dass es die Absicht der Behörden war, einen Journalisten und seine Reisebegleiterin aus dem Flugzeug zu entfernen", sagte der Chef der irischen Billigfluglinie am Montag dem irischen Radiosender Newstalk. "Wir vermuten, dass auch einige KGB-Agenten am Flughafen (in Minsk) abgeladen wurden." O'Leary sagte, es handle sich um einen "Fall von staatlich unterstützter Entführung und staatlich unterstützter Piraterie".

Belarus hatte am Sonntag einen Zwischenstopp des Linienflugs zwischen den EU-Ländern Griechenland und Litauen erzwungen. Bei der Landung in Minsk wurde der von Belarus gesuchte Regierungskritiker Roman Protasewitsch festgenommen. Zudem kam nach Angaben einer Universität in Vilnius eine dort als Studentin eingeschriebene Begleiterin Protasewitschs ebenfalls nicht am planmässigen Zielflughafen an.

Der Chef der litauischen Kriminalpolizei, Rolandas Kiskis, sagte am Montag, beim Start in Athen hätten sich 126 Passagiere an Bord befunden. Am planmässigen Ziel in der litauischen Hauptstadt Vilnius seien mit dieser Maschine am Sonntagabend schließlich jedoch nur 121 Passagiere angekommen.

Ryanair-Chef Michael O'Leary und der irische Außenminister Simon Coveney hatten die Vermutung geäussert, dass es sich bei den übrigen fehlenden Passagieren um belarussische Geheimdienstmitarbeiter gehandelt habe. Demnach hätte Belarus Agenten bereits beim Abflug auf griechischem Boden eingesetzt. Litauens Kriminalpolizei-Chef Kiskis wollte sich zur Identität der fehlenden Passagiere nicht äußern. 

Der Ryanair-Chef lobte die Besatzung für ihren "phänomenalen Job". Der Vorfall sei "sehr beängstigend" gewesen, für Personal und Passagiere, die stundenlang von Bewaffneten festgehalten worden seien. Der irische Aussenminister Simon Coveney forderte die EU zu einer "sehr deutlichen Antwort" auf. Die Führung von Belarus besitze keine demokratische Legitimität und verhalte sich wie eine Diktatur, sagte Coveney dem Sender RTÉ.

Die Behörden in Belarus (das frühere Weissrussland) hatten am Sonntag ein Flugzeug auf dem Weg von Athen nach Vilnius (Litauen) umgeleitet und in der Hauptstadt Minsk zur Landung gezwungen. An Bord der Passagiermaschine der Fluggesellschaft Ryanair war unter den mehr als 100 Passagieren auch der vom belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko international gesuchte Blogger Roman Protassewitsch. Er wurde nach Angaben des Menschenrechtszentrums Wesna am Sonntag auf dem Airport in Minsk festgenommen. Das umgeleitete Flugzeug landete schliesslich am Sonntagabend mit mehr als achtstündiger Verspätung auf dem Flughafen der litauischen Hauptstadt Vilnius.

Nach der erzwungenen Landung des Flugzeugs beraten die EU-Staats- und Regierungschefs am Montag über neue Sanktionen gegen Belarus. EU-Ratschef Charles Michel setzte das Thema kurzfristig auf die Tagesordnung des ohnehin geplanten zweitägigen EU-Sondergipfels in Brüssel (19.00 Uhr). "Der Vorfall wird nicht ohne Konsequenzen bleiben", teilte der Belgier am Sonntagabend mit. 

USA: "Dreiste und schockierende Tat des Lukaschenko-Regimes"

Auch andere Spitzenpolitiker in der EU wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äusserten sich entsetzt über das belarussische Vorgehen. "Das unverschämte und illegale Verhalten des Regimes in Belarus wird Konsequenzen haben", schrieb von der Leyen am Sonntagabend bei Twitter. "Die Verantwortlichen für die Ryanair-Entführung müssen sanktioniert werden." Die EU hatte bereits im vergangenen Jahr Sanktionen unter anderem gegen Machthaber Alexander Lukaschenko verhängt.

Auch die US-Regierung hat die Aktion der Behörden in Belarus scharf verurteilt. US-Aussenminister Antony Blinken schrieb am Sonntagabend (Ortszeit) auf Twitter mit Blick auf den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, es habe sich um eine "dreiste und schockierende Tat des Lukaschenko-Regimes" gehandelt. "Wir fordern eine internationale Untersuchung und stimmen uns mit unseren Partnern über die nächsten Schritte ab. Die Vereinigten Staaten stehen an der Seite der Menschen in Belarus."

Der deutsche Aussenminister Heiko Maas forderte nach dem Vorfall in Belarus "deutliche Konsequenzen". "Dass ein Flug zwischen zwei EU-Staaten unter dem Vorwand einer Bombendrohung zur Zwischenlandung gezwungen wurde, ist ein gravierender Eingriff in den zivilen Luftverkehr in Europa", sagte der Politiker am Sonntagabend einer Mitteilung zufolge. "Wir sind sehr besorgt über Meldungen, dass auf diesem Weg der Journalist Roman Protassewitsch verhaftet wurde."

Russland spricht von "Heuchelei"

Russland dagegen wirft dem Westen Heuchelei vor. Eine Sprecherin des Außenministeriums in Moskau kritisierte, dass der Vorfall als schockierend gewertet werde. Dies sei wiederum für Russland "schockierend", da mit zweierlei Maß gemessen werde. Sie erinnere daran, dass eine Maschine des einstigen bolivianischen Präsidenten auf Geheiß der USA in Österreich habe landen müssen. Falls dies den Westen nicht schockiert habe, dürfe er nun bei ähnlichen Fälle auch nicht von einem Schock reden.

Sie spielte damit auf einen Vorfall im Jahr 2013 an: Der bolivianische Präsident Evo Morales sah sich damals gezwungen, bei seinem Heimflug von Moskau einen unfreiwilligen Zwischenstopp in Wien einzulegen. Hintergrund waren offenbar Gerüchte, wonach sich der ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden in dem Flugzeug befunden haben soll.

(AWP/Reuters/cash)