Mittlerweile werden Forderungen nach Johnsons Rücktritt laut, auch aus den Reihen seiner eigenen Partei. Dass könnte für Johnson gefährlich werden: Verliert er die Unterstützung seiner Partei-Kollegen, droht ihm ein Misstrauensvotum.

Während in Deutschland der Prozess eines Misstrauensvotums für alle Parteien gleich ist und von einem Viertel der Bundestagsabgeordneten angestossen werden muss, hängen in Grossbritannien die Regeln von der jeweiligen Partei ab. Bei den britischen Konservativen, den Tories, können bereits wenige Abgeordnete einen Wechsel an der Spitze in die Gänge bringen.

Wodurch wird ein Misstrauensvotum der Tory-Partei ausgelöst?

Sobald 15 Prozent der konservativen Abgeordneten einen entsprechenden Antrag in Briefform stellen, wird ein Misstrauensvotum angestossen. Bei derzeit 360 Konservativen im britischen Parlament wären das 54 Anträge. Empfänger dieser Briefe ist Graham Brady, der Vorsitzende des sogenannten 1922-Komitees der Partei. Das Gremium besteht aus Mitgliedern des Parlaments, die kein Regierungsamt ausüben.

Steht ein Misstrauensvotum gegen Johnson im Raum?

Mehrere Tory-Abgeordnete haben bereits bekanntgegeben, dass sie einen solchen Briefantrag gestellt haben. "Ich kann den Premierminister derzeit nicht mehr unterstützen. Seine Handlungen und Unwahrheiten überschatten die aussergewöhnliche Arbeit so vieler Minister und Kollegen", schrieb etwa der Abgeordnete Anthony Mangnall auf Twitter. Weitere Abgeordnete sollen einen Antrag anonym eingereicht haben. Da der Antragsprozess für ein Misstrauensvotum vertraulich ist, weiss nur der Vorsitzende des 1922-Komitees, wieviele Briefe tatsächlich eingegangen sind.

Wie läuft ein Misstrauensvotum ab?

Sobald genügend Anträge eingegangen sind, können alle konservativen Abgeordneten eine Stimme für oder gegen den Premierminister abgeben. Stimmt die Mehrheit für den Premierminister, darf er das Amt weiter ausüben. Für einen Zeitraum von zwölf Monaten kann es dann kein weiteres Misstrauensvotum geben. Verliert der Premierminister die Abstimmung, muss er sein Amt abgeben. Zusätzlich kann er bei den nächsten Wahlen nicht als Kandidat antreten.

Wie schnell kann es zu einer Abstimmung kommen?

Das Regelwerk der Konservativen sieht vor, dass der Vorsitzende des 1922-Komitees zusammen mit der Parteiführung über das Datum der Abstimmung entscheidet. Diese soll zum nächstmöglichen Zeitpunkt stattfinden. Als sich die damalige Premierministerin Theresa May im Dezember 2018 einem Misstrauensvotum stellen musste, fand die Abstimmung noch am selben Tag statt. Damals stimmten ihre Tory-Kollegen für ihr Verbleiben im Amt.

In Deutschland wäre eine so kurzfristige Abstimmung nicht möglich. Das Gesetz regelt, dass zwischen Antrag und Wahl 48 Stunden liegen müssen.

Wer ersetzt den Premierminister?

Wird dem Premierminister das Vertrauen entzogen, finden keine Neuwahlen statt. Vielmehr müssen die konservativen Abgeordneten über seine Nachfolge abstimmen. Stehen dabei mehrere Kandidaten zur Auswahl, stimmen die Konservativen solange im Geheimen ab, bis sich nur zwei Namen auf dem Wahlzettel befinden. Sobald das der Fall ist, können alle Mitglieder der Partei, die ihr seit mindestens drei Jahren angehören, per Briefwahl den neuen Premierminister bestimmen. Fall sich Johnson einem Misstrauensvotum stellen muss, werden Finanzminister Rishi Sunak und die Aussenministerin Liz Truss als mögliche Kandidaten gehandelt. 

(Reuters)