Ausländische Kräfte würden einen Hybridkrieg gegen Belarus führen, sagte der seit mehr als einem Vierteljahrhundert autoritär regierende Präsident am Mittwoch in seiner ersten öffentlichen Äußerung zu dem Vorfall. Ziel sei es, Belarus die Luft abzuschneiden und seine Regierung zu untergraben. Er habe jedoch rechtmäßig gehandelt und im Einklang mit sämtlichen internationalen Normen.

Die Ryanair-Maschine war am Sonntag auf dem Weg von Griechenland nach Litauen von der belarussischen Flugsicherung nach Minsk umgeleitet worden wegen einer Bombendrohung, die sich als falsch herausstellte. An Bord befand sich der im Exil lebende Regierungsgegner und Blogger Roman Protassewitsch, der nach der Landung zusammen mit seiner Freundin festgenommen wurde. Zahlreiche westliche Nationen reagierten empört, die EU beschloss Sanktionen gegen Belarus. In einigen Reaktionen war von einem "Akt der Luftpiraterie" und "Staatsterrorismus" die Rede.

Die EU-Flugsicherheitsbehörde empfahl Fluggesellschaften, den Luftraum über Belarus aus Sicherheitsgründen vorerst zu meiden. Mehrere Airlines haben bereits damit begonnen, ihre Routen umzustellen. Russland, das Lukaschenko unterstützt, hat derweil Mutmaßungen zurückgewiesen, in irgendeiner Form in den Vorfall verwickelt zu sein. In Berlin sagte ein Sprecher der Bundesregierung, man könne nicht abschließend beurteilen, ob russische Geheimdienste beteiligt gewesen seien.

"Wie vorhergesagt haben uns nicht wohl Gesonnene im In- und Ausland ihre Angriffsmethoden auf den Staat geändert", sagte Lukaschenko im Parlament. "Sie haben viele roten Linien überschritten und den gesunden Menschenverstand und die menschliche Moral aufgegeben." Er drohte damit, auf sämtliche Sanktionen oder Provokationen scharf zu reagieren, wie die Nachrichtenagentur Belta meldete. Sein Ministerpräsident brachte Importverbote und Transit-Beschränkungen ins Gespräch ohne Details zu nennen.

Schweiz widerspricht Lukaschenko

Der Kreml in Moskau erklärte, er sehe keinen Grund, Lukaschenkos Darstellung des Falls zu misstrauen. Die Schweiz widersprach derweil Lukaschenkos Angaben, die Regierung in Bern habe vor einer Bombe an Bord des Flugzeugs gewarnt. "Die Schweizer Behörden hatten und haben keine Kenntnisse über eine Bombendrohung auf dem Ryanair-Flug Athen-Vilnius. Es gab dementsprechend auch keine Meldung der Schweiz an die belarussischen Behörden."

Zur Festnahme von Protassewitsch sagte Lukaschenko laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Tass, der Oppositionelle habe eine "blutige Rebellion" in Belarus geplant. Er habe nicht gewusst, dass der 26-Jährige an Bord des Flugzeugs gewesen sei. Hätte er es jedoch gewusst, so hätte er den Befehl gegeben, die Maschine am Weiterflug zu hindern, sagte Lukaschenko.

Für Entsetzen und Besorgnis hat ein Video gesorgt, in dem Protassewitsch gesteht, die Proteste in Belarus angestachelt zu haben. Oppositionsvertreter gehen davon aus, dass die Aussagen unter Anwendung von Folter erzwungen wurden. Die Aufnahmen seien besorgniserregend, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag. Es müsse nun noch dringlicher alles dafür getan werden, dass Protassewitsch freikomme. Am Dienstagabend tauchte auch ein weiteres Video auf, in dem Protassewitsch' Freundin Sofia Sapega ein Geständnis ablegt, wonach die 23-Jährige die persönlichen Daten von belarussischen Strafverfolgungsbeamten veröffentlicht habe, was in ihrer Heimat ein Verbrechen ist.

Die im litauischen Exil lebende belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja schrieb auf Twitter, Sapega scheine in dem Video unter psychologischem Druck zu stehen. Belarus hat frühere Berichte über Gefangenenmisshandlungen zurückgewiesen. Bürgerrechtsgruppen haben dagegen nach eigenen Angaben Hunderte Fälle von Misshandlungen und erzwungenen Geständnissen seit vergangenem Jahr dokumentiert.

Im November hatten die belarussischen Behörden Protassewitsch auf eine sogenannte Terroristen-Beobachtungsliste gesetzt. Im vergangenen Sommer war es zu zahlreichen Massenprotesten gegen die umstrittene Wiederwahl Lukaschenkos gekommen. Im Zuge des harten Einschreitens der Behörden und Sicherheitskräfte verloren diese jedoch an Momentum. Am Mittwoch kündigte Oppositionsführerin Tichanowskaja eine neue Phase der Anti-Regierungs-Proteste an. "Es gibt nichts mehr abzuwarten. Wir müssen den Terror ein für allemal stoppen", erklärte sie. Lukaschenko sagte, er rechne nicht mit einer Wiederholung der Massenproteste von 2020. 

(Reuters)