Industrie, Bau und Energieversorger stellten zusammen 4,0 Prozent weniger her als im Vormonat, wie das Bundeswirtschaftsministerium am Donnerstag mitteilte. Das ist der stärkste Rückgang seit April 2020, als es wegen des ersten Corona-Lockdowns zu einem heftigen Einbruch kam. Von Reuters befragte Ökonomen hatten nur mit einem Rückgang um 0,4 Prozent gerechnet, nach einem Wachstum von 1,3 Prozent im Juli. Die Produktion liegt damit noch um 9,0 Prozent niedriger als im Februar 2020, dem Monat vor dem Beginn der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie in Deutschland.

Die Industrieproduktion allein brach im August um 4,7 Prozent ein. "Die Hersteller berichten weiterhin von Produktionshemmnissen aufgrund von Lieferengpässen bei Vorprodukten", erklärte das Statistische Bundesamt dazu. Das sieht das Wirtschaftsministerium genauso: "Die Lieferengpässe bei Rohstoffen und Vorprodukten erwiesen sich als gravierender als bislang angenommen". Bei der Autoindustrie dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass bei einigen Herstellern die Betriebsferien dieses Jahr in den August gefallen seien.

Die Betriebe sitzen derzeit auf prall gefüllten Auftragsbüchern, auch wenn das Neugeschäft im August mit fast acht Prozent so stark eingebrochen ist wie seit knapp anderthalb Jahren nicht mehr. Vielfach können die Bestellungen jedoch nicht abgearbeitet werden angesichts akuter Engpässe bei Vorprodukten wie Mikrochips. Fast 80 Prozent der Industriebetriebe klagen über Materialmangel.

Sie gehen aber davon aus, künftig wieder mehr herzustellen. Das Barometer für die Produktionserwartungen kletterte im September um zwei auf 29 Punkte, wie das Ifo-Institut bei seiner Firmenumfrage ermittelte. "Die weiterhin guten Produktionsaussichten lassen sich auch auf Nachholeffekte wegen der Corona-Pandemie zurückführen, sagte Ifo-Forscher Klaus Wohlrabe dazu. "Die Auftragsbücher sind weiterhin voll, nur die Materialengpässe bereiten im Moment Probleme und dämpfen die Produktionspläne etwas."

Analysten sagte dazu in ersten Reaktionen:

Jens-Oliver Niklasch, LBBW: "Ein herber Rücksetzer. Während man den gestrigen Auftragseingang angesichts des hohen Auftragsbestand noch mit einem Achselzucken quittieren konnten, ist mit den heutigen Produktionszahlen amtlich, dass der Aufholprozess ins Stocken geraten ist. Lieferengpässe, hohe Energiepreise und Produktionsausfälle: ein toxisches Gebräu, das schon leicht nach Stagflation riecht."

Thomas Gitzel, Chefökonom VP Bank: "Die deutsche Industrieproduktion ruft Entsetzen hervor. Das ist das deutlichste Minus seit der Hochphase der Corona-Pandemie im März und April des Vorjahres. Die Industrie will einfach nicht auf die Beine kommen. Damit entpuppt sich das im Juli verbuchte Plus als Strohfeuer. Die Trendwende lässt weiter auf sich warten. Spitze des Eisbergs ist die deutsche Automobilproduktion, die massiv unter dem Halbleitermangel leidet. Der Materialmangel belastete die deutsche Wirtschaft also schwerwiegend. Die deutsche Industrieproduktion war im jeweiligen Monatsvergleich im laufenden Jahr bislang nur zweimal im Plus. Wüsste man nicht, was hinter den Zahlen steckt, man würde meinen, Deutschland steckt in einer tiefen Rezession. Konträr dazu verhält sich der Auftragsbestand, der eigentlich auf einen Konjunkturboom schließen ließe. Soviel steht fest, die gegenwärtige Gemengelage bekommt ihren festen Platz in der Wirtschaftsgeschichte.

Bislang machte sich die lahmende Industrieproduktion kaum in den gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten bemerkbar. Die Corona-Nachholeffekte im Dienstleistungssektor überkompensierten die Verluste in der Industrie. Doch wenn nun im laufenden Quartal der Dienstleistungsbereich in den Normalmodus schaltet, wird die aktuell schwierige Lage im verarbeitenden Gewerbe stärker zum Tragen kommen. Im vierten Quartal wächst die deutsche Wirtschaft kaum. Die gute Nachricht ist derweil, dass die leer gefegten Läger der Unternehmen und die liegengebliebenen Aufträge für ein kräftiges Anziehen der Industrieproduktion im kommenden Jahr spricht – unter der Voraussetzung, dass dann genügend Vorprodukte und Rohstoffe verfügbar sind. Auch wenn die Industrie in einer akut schwierigen Situation ist, der Kopf sollte nicht in den Sand gesteckt werden. Kommt der Materialfluss wieder in Gang, sind beste Voraussetzungen für eine kräftig anziehende Industriekonjunktur gegeben.

(Reuters)