EZB-Chefin Christine Lagarde signalisierte am Mittwoch, dass Anleihenkäufe Anfang des dritten Quartals auslaufen könnten und eine erst Zinserhöhung "einige Wochen später" praktisch auf dem Fuss folgen könnte. Bundesbankchef Joachim Nagel wie auch andere Währungshüter erwarten eine Anhebung im Juli. Die Bundesbank sieht auch deshalb Eile geboten, da sie hierzulande für dieses Jahr mittlerweile mit einer hohen Teuerungsrate von fast sieben Prozent rechnet.

Laut Nagel muss durch schnelles Handeln vermieden werden, dass sich Preise und Löhne gegenseitig aufschaukeln und die Inflationserwartungen aus dem Ruder laufen. "Auf jeden Fall sollte der Ausstieg aus der sehr konjunkturstimulierenden Geldpolitik rasch und reibungslos erfolgen", forderte der Bundesbankchef. Ebenso äusserte sich EZB-Direktorin Isabel Schnabel in einer Rede für eine Finanzkonferenz in Wien. Die Geldpolitik müsse handeln, um die Preisstabilität zu bewahren, sagte sie. "Schon heute steigen die Risiken, dass sich die aktuell hohe Inflation in den Erwartungen festschreibt."

Aus Sicht von Bundesbank-Präsident Nagel müssen die Währungshüter allerdings darauf achten, dass Verbraucher, Firmen und Finanzmärkte den Ausstieg aus der sehr lockeren Geldpolitik auch verkrafteten. "Meiner Ansicht nach werden negative Zinsen im Euroraum relativ bald Geschichte sein. Sie passen nicht länger in das veränderte Umfeld", betonte Nagel, der sich ein Ende der Anleihenkäufe bereits Ende Juni vorstellen kann. Das Aus für dieses klassische Instrument einer ultra-lockeren Geldpolitik gilt als Vorbedingung für eine Zinserhöhung.

Aktuell liegt der Einlagensatz im Euroraum bei minus 0,5 Prozent. Das heisst, Banken müssen Strafzinsen berappen, wenn sie bei der Notenbank Geld horten. Der Leitzins liegt derzeit bei 0,0 Prozent. Die nächsten Zins-Sitzungen der EZB stehen am 9. Juni und am 21. Juli an. Danach kommt der EZB-Rat erst wieder im September zu einer regulären geldpolitischen Sitzung zusammen.

Inflation bleibt wohl hoch

"Ich denke, dass die EZB ab diesem Sommer ihre Zinssätze schrittweise anheben wird", sagte der Chef der französischen Notenbank Francois Villeroy de Galhau. Die EZB steht unter Zugzwang, da die Teuerungsrate mit zuletzt 7,5 Prozent im Euroraum weit über das Ziel der EZB von 2,0 Prozent hinausgeschossen ist. Villeroy erwartet, dass die Inflation für den Rest des Jahres 2022 "hoch" bleiben wird. EZB-Vize Luis de Guindos rechnet damit, dass sie sich gegen Jahresende bei Werten zwischen 4 und 5 Prozent einpendeln wird.

Laut EZB-Ratsmitglied Madis Müller ist auch wegen der steigenden Inflationserwartungen Wachsamkeit geboten. "Das dient als Bestätigung, dass die Inflation sehr wahrscheinlich für geraume Zeit auf einem erhöhten Niveau bleiben wird", sagte der estnische Notenbankpräsident der Nachrichtenagentur Reuters. Die Anleihenkäufe sollten relativ schnell beendet werden und die Zinswende danach "ohne grössere Verzögerung" angegangen werden. Auch wenn im Juni aus seiner Sicht noch keine Erhöhung zur Entscheidung anstehe, könne die EZB womöglich einen Fingerzeig geben: "Vielleicht könnten wir unsere Erwartungen zu den Zinsen angeben."

(AWP)