Anders als an den Finanzmärkten erhofft ließen die Währungshüter am Donnerstag in Frankfurt aber ihre Schlüsselzinsen unverändert - und folgten damit nicht dem Beispiel anderer Notenbanken. "Die Ausbreitung des Coronavirus COVID-19 war ein großer Schock für die Wachstumsaussichten der Weltwirtschaft und der Wirtschaft im Euro-Raum", sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Von den Regierungen forderte sie eindringlich verstärkte Ausgaben im Kampf gegen die Krise. Es müsse finanzpolitisch eine "ambitionierte und abgestimmte" Antwort geben.

Die Währungshüter beschlossen unter anderem neue langfristige Liquiditätsspritzen für Banken zu sehr günstigen Bedingungen, um den Kreditfluss an die Wirtschaft zu stützen. Bestehende große Geldspritzen sollen zudem jetzt noch vorteilhafter für die Banken gestaltet werden. Dabei hat die EZB insbesondere den Kreditfluss an kleinere und mittelgroße Firmen im Blick, die wegen der Virus-Krise in Bedrängnis geraten sind. Zudem kündigte die EZB zusätzliche Anleihenkäufe an. Die EZB-Bankenaufsicht lockerte zudem die Kapitalvorgaben für die Geldhäuser, damit diese letztlich den Unternehmen als Kreditnehmern unter die Arme greifen.

An der Börse kam das Maßnahmenbündel allerdings nicht gut an. Der Dax baute seine Verluste aus und büßte zeitweise knapp elf Prozent ein. Damit steuerte er auf den zweitgrößten Tagesverlust seiner Geschichte zu. Auch der europäische Banken-Index weitete seine Verluste aus. Er gab mehr als zwölf Prozent auf ein Rekordtief von 58,26 Punkten. Noch während der Pressekonferenz Lagardes wuchs der Verkaufsdruck auf südeuropäische Anleihen. Dies trieb die Rendite der zehnjährigen italienischen Titel auf ein Achteinhalb-Monats-Hoch.

"Mehr kann die EZB derzeit nicht leisten"

"Das Paket war kleiner als gedacht", kommentierte Uwe Burkert, Chefökonom der LBBW. Positiver äußerte sich der Deutschland-Chefökonom der Deutschen Bank, Stefan Schneider: "Die Maßnahmen sollten Wirkung zeigen - besonders die langfristigen Refinanzierungsgeschäfte zu extrem günstigen Bedingungen." Auch die zusätzlichen Anleihenkäufe seien ganz erheblich. "Mehr kann die EZB derzeit realistischerweise wohl auch nicht leisten." Aus Sicht seines Kollegen Alexander Krüger vom Bankhaus Lampe beugt sich die EZB dem Coronavirus. "Mit ihren Liquiditätshilfen und Wertpapierkäufen setzt sie insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen an der richtigen Stelle an."

Für Lagarde, die seit November an der Spitze der Euro-Notenbank steht, ist die Virus-Pandemie die erste große Bewährungsprobe. Selbst wenn die Krise am Ende nur vorübergehend sei, seien die Auswirkungen auf die Wirtschaftsaktivitäten erheblich, sagte die frühere französische Finanzministerin. "Sie wird besonders die Produktion bremsen als Folge unterbrochener Lieferketten und die Binnen- und Auslandsnachfrage verringern." Die EZB müsse in der aktuellen Lage alle verfügbaren Instrumente einsetzen. Niemand solle aber erwarten, dass Zentralbanken als erste auf die Krise reagieren müssten. Dies sei zunächst Aufgabe der Politik.

Zu dem Maßnahmenpaket der EZB gehört auch eine Ausweitung der Anleihenkäufe um 120 Milliarden Euro bis zum Jahresende. Firmenanleihen sollen dabei eine starke Rolle spielen. Die Wertpapierkäufe waren in den vergangenen Jahren die stärkste Waffe der EZB im Kampf gegen eine schwache Konjunktur. Für die zusätzlichen Käufe gebe es keine monatliche Vorgabe, sagte Lagarde. Bislang lag das Kaufvolumen pro Monat bei 20 Milliarden Euro. Die ehemalige Chefin des Internationalen Währungsfonds stellte zudem in Aussicht, alle Flexibilität auszunutzen. Lagarde zufolge wurde das Maßnahmenbündel im EZB-Rat einstimmig beschlossen.

Abkehr von ultralockerer Geldpolitik steht völlig in den Sternen

Ihren Schlüsselzins zur Versorgung der Institute mit Geld beließ die EZB bei 0,0 Prozent. Bereits seit März 2016 liegt er auf diesem Rekordtief. Auch den Einlagensatz hielt sie auf dem bisherigen Niveau von minus 0,5 Prozent, Experten hatten hier mit einer weiteren Senkung gerechnet. Banken müssen damit Strafzinsen zahlen wenn sie über Nacht überschüssige Gelder bei der Notenbank horten. Allerdings gibt es inzwischen für die Institute Freibeträge. Zinssenkungen in der Zukunft schloss Lagarde aber nicht aus. Wenn dies nötig sei, "werden wir das machen", sagte sie.

Wegen der Virus-Pandemie hatten andere große Zentralbanken ihre Geldpolitik gelockert. In den USA senkte die Federal Reserve ihren Leitzins deutlich um einen halben Prozentpunkt. Die Bank von England kappte ihre Leitzinsen ebenfalls in diesem Umfang. Von den Währungshütern in Japan wird für kommende Woche ebenfalls eine Lockerung der Geldpolitik erwartet.

Eine Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik im Euro-Raum steht daher völlig in den Sternen. Die EZB hatte letztmalig im Jahr 2011 ihre Zinsen hochgesetzt. Die Schlüsselzinsen würden noch solange auf dem aktuellen oder einem tieferen Niveau liegen, bis sich die Inflationsaussichten wieder klar dem Inflationsziel annäherten, erklärten die Währungshüter.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sieht die Coronavirus-Epidemie als die größte Gefahr für die globale Wirtschaft seit der Finanzkrise. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht mittlerweile von einer Pandemie. Die immer stärker um sich greifende Viruskrise birgt Volkswirten zufolge die Gefahr, dass die Weltkonjunktur einbricht. Die deutsche Wirtschaft, die größte in der Euro-Zone, wird laut Prognose des Kieler IfW-Instituts in diesem Jahr erstmals seit der Finanzkrise 2009 wieder schrumpfen.

(Reuters)