Im dritten Quartal haben zehn der grössten Banken der Region das geringste Volumen an Rückstellungen für zweifelhafte Kredite seit Beginn der Coronavirus-Pandemie gebildet - insgesamt 8,6 Milliarden Dollar, ein Fünftel der Risikovorsorge von 39,8 Milliarden Dollar im ersten Halbjahr.

Gleichzeitig führen Banken wie Spaniens Banco Santander ihre Finanzstärke als Argument an, um die Aufsichtsbehörden zu bewegen, wieder Dividendenzahlungen zu erlauben. Häuser wie die Deutsche Bank sprechen sich für grössere Bonuszahlungen für Anleihehändler aus, die Super-Erträge eingefahren haben.

Kontrast zur schlechten Corona-Lage

Der von europäischen Banken angeschlagene Ton steht in starkem Kontrast zu der sich verschlechternden Lage bei den Corona-Neuinfektionen und Beschränkungen, die mehr wirtschaftliche Belastungen mit sich bringen könnten.

Die Forderungen der Banken kommen zu einem Zeitpunkt, wo mit dem Geld der Steuerzahler die Auswirkungen der Lockdowns abgemildert werden, die Unternehmen in die Pleite treiben und Millionen Beschäftigte arbeitslos machen können. Angesichts dieser Diskrepanz riskieren die Banker einen Kollisionskurs mit den Aufsichtsbehörden.

“Wir befinden uns in einer sehr negativen Lage voller Unsicherheit und jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, das Dividendenverbot aufzuheben”, sagt Antonella Sciarrone Alibrandi, Professorin an der Università Cattolica del Sacro Cuore in Mailand. “Es gibt einen gewissen Widerspruch, wenn die Banken Flexibilität bei den Regeln und den Rückstellungen für notleidende Kredite fordern, gleichzeitig aber die Zahlungen von Dividenden und grossen Boni wieder aufnehmen wollen.”

Erleichterungen durch Aufsichtsbehörden

Die Banken erhielten beispiellose Erleichterungen durch die Aufsichtsbehörden, die Kapital für die Absorption von Verlusten oder für die Finanzierung von Krediten freisetzten. Am Donnerstag erinnerte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, die Banken daran, dass die Erleichterungen an Bedingungen geknüpft seien.

Die Kreditinstitute müssten helfen alle Sektoren der Wirtschaft zu finanzieren und nicht nur die grossen Unternehmen, sagte sie. Die EZB-Chefin verwies auf die sich verschlechternde Lage in der Region. Sie warnte, dass einige Banken Unternehmen Darlehen zu weniger günstigen Bedingungen herausreichten und dass höhere Risikoeinschätzungen die Bereitschaft der Banken zur Kreditvergabe belasten könnten.

“Kreditrisiko hat derzeit oberste Priorität”

“Kreditrisiko hat derzeit oberste Priorität”, sagte EZB-Bankenaufsichtschef Andrea Enria auf einer Konferenz am Mittwoch. Er riet den Banken nicht bis zu einer Verschlechterung der Lage zu warten, um Kunden zu ermitteln, die Finanzschwierigkeiten bekommen könnten.

“Es ist eine Frage, wann und nicht ob sich die Aktiva-Qualität der Banken in dieser Krise verschlechtern wird”, sagte der Gouverneuer der spanischen Notenbank, Pablo Hernandez De Cos.

Aufgaben erfüllen

Die europäischen Banken führen an, dass sie ihre Aufgabe erfüllen und dass Aufseher, die sie bestrafen wollen, die Lage verschlimmern könnten, da sie das Vertrauen der Anleger untergraben.

“Seit Beginn der Pandemie haben wir die Kreditvergabe ausgeweitet, wir stellen umfassend Liquidität zur Verfügung”, sagte der Santander-CEO Jose Antonio Alvarez gegenüber Analysten auf einer Telefonkonferenz am Mittwoch. “Wir erzielen weiterhin Ergebnisse und auf dieser Basis bitten wir sie (die EZB), uns die Ausschüttung von Dividenden zu erlauben.”

Barclays, Standard Chartered und HSBC Holdings haben auch ihre finanzielle Solidität angeführt als Argument für eine Wiederaufnahme von Ausschüttungen im nächsten Jahr. Die Schweizer Banken UBS Group und Credit Suisse Group  wollen 2021 die Erträge für die Aktionäre erhöhen und haben Rückkäufe im Gesamtvolumen von mehr als 3,0 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt.

Die EZB und die Bank of England werden voraussichtlich Ende des Jahres ihre de-facto-Dividendenverbote überprüfen. Die führenden Schweizer Banken haben es einfacher und dürfen in diesem Jahr ihre Ausschüttungen auf zwei aufteilen.

Performance-Prämien umstritten

“Die Banken sehen derzeit extrem gut aus, weil die Regierungen die grössten Belastungen aus der Krise abfedern”, sagte Jörg de Vries-Hippen, Chief Investment Officer von Allianz Global Investors, in einem Bloomberg TV-Interview am Donnerstag. “Ich wäre an Stelle der Politik oder der EZB extrem vorsichtig, diesen Weg einzuschlagen und ihnen bereits jetzt Dividendenzahlungen zu erlauben, selbst wenn sie sich dies wünschen.”

Bonuszahlungen machen zwar einen geringeren Anteil der Kapitalabflüsse der Banken aus als Dividenden, doch die Performance-Prämien sind seit 2008 umstritten. Die EZB hat deutlich gemacht, von den Banken im Euroraum bei der variablen Vergütung eine extreme Mässigung zu erwarten, um Kapital zu erhalten.

Deutsche Bank hat Geld zur Seite gelegt

Die Wertpapierhäuser könnten somit auf einen Konfrontationskurs mit den Aufsichtsbehörden zusteuern. Die Deutsche Bank hat am Mittwoch mitgeteilt, dass sie Gelder zur Seite gelegt hat, um Bonuszahlungen im Rahmen ihrer ausgezeichneten Handels-Performance zu zahlen.

“Ein Unternehmen wie unseres muss in der Lage sein, konkurrenzfähige Performance zu honorieren,” sagte Finanzvorstand James von Moltke in einem Interview mit Bloomberg TV.

Thomas Gottstein, der Chief Executive Officer der Credit Suisse, hat die höheren Vergütungsrückstellungen der Bank auf einer Telefonkonferenz mit Journalisten verteidigt und gesagt, dass sie “ein Gleichgewicht zwischen einer leistungsabhängigen Vergütung und dem allgemeinen Covid-19-Umfeld herstellen muss.”

(Bloomberg)