Dieses Interview ist Teil des am 1. Dezember 2018 erschienenen Anlegermagazins «VALUE» von cash. Sie können das Magazin als E-Paper lesen, als PDF herunterladen oder gratis als gedruckte Ausgabe bestellen. |
cash VALUE: Herr Schubiger, kann man im aktuellen Umfeld noch mit gutem Gewissen zum Kauf einer Immobilie raten?
Florian Schubiger*: Wenn man über das entsprechende Kapital verfügt, ist ein Eigenheim aufgrund der tiefen Hypothekarzinsen immer noch attraktiv. Renditeliegenschaften sehe ich hingegen kritischer. Dort sind die Preise in den letzten Jahren schlicht zu stark gestiegen.
Ist ein Ende der Tiefzinsen in Sicht?
Die Schweizerische Nationalbank würde die Zinsen gerne erhöhen, kann aber nicht. Um den Franken nicht zu stärken, muss sie auf eine Zinserhöhung in der Euro-Zone warten. Doch derzeit sind noch zu viele europäische Länder zu wenig fit für höhere Zinsen.
Kommt es zu einer harten Landung, wenn die Zinsen wieder steigen?
Der Immobilienboom der letzten Jahre war gewaltig. Würden nun zwei Faktoren wegfallen, die Zuwanderung und die tiefen Zinsen, wäre das problematisch. Käme noch eine Rezession hinzu, würden wir eine starke Preiskorrektur erleben.
Ist es immer noch eine gute Idee, Gelder aus der Vorsorge für den Immobilienkauf zu verwenden?
Wer Geld aus der Pensionskasse holt und damit ein Haus kauft, nimmt eine Vorsorgelücke in Kauf. Durch die tiefen Hypothekarzinsen spart man derzeit aber viel Geld. Dieses sollte man sparen, um einen Teil der Lücke wieder zu schliessen. Geht man mit dem Geld in die Ferien oder kauft sich ein Auto, kann es später eng werden.
Welche Hypothekarkunden sind besonders gefährdet?
Zum Beispiel Personen, die nichts zur Seite legen und äusserst günstige Libor-Hypotheken haben. Bei einer harten Landung am Immobilienmarkt wären sie zuerst betroffen.
Die Tragbarkeit von Wohneigentum kann mit der Pensionierung zum Problem werden. Verschärft sich das mit unserem angeschlagenen Vorsorgesystem?
Sinken die Umwandlungssätze der Pensionskassen, sinken auch die Renten und somit die Tragbarkeit. Kommt es zudem zu einer starken Preiskorrektur am Immobilienmarkt, werden höhere Amortisationen nötig. Leute mit wenig Ersparnissen oder tiefen Renten, zum Beispiel Selbstständige, kommen dann unter Druck.
Bei den Hypotheken sind die Zinsunterschiede unter Anbietern sehr gross. Trotzdem schliessen die meisten Leute eine Hypothek bei ihrer Hausbank ab. Warum?
Die Schweizer sind generell nicht wechselfreudig, was für mich wenig Sinn macht. Bei einer zehnjährigen Hypothek spart man gut und gerne 20 000 Franken über die gesamte Laufzeit. Eine Hypothek ist ein austauschbares Produkt, weil es sich dabei um Geld handelt. Es spielt keine Rolle, bei welcher Bank man abschliesst: Das Geld bleibt dasselbe. Bei einer Hypothek lohnt es sich mehr als bei einer Krankenkasse, gut zu vergleichen und zu verhandeln.
Gleichzeitig drängen vermehrt Versicherungen oder Online-Anbieter in den Hypothekenmarkt. Ist das nachhaltig?
Insbesondere Pensionskassen sind aufgrund der Tiefzinsen in diesen Markt eingestiegen. Dass sie sich von diesem einträglichen Geschäft wieder verabschieden, ist unwahrscheinlich. Aber die Vermittlung wird sich verändern. Weil Hypotheken grundsätzlich einfache Prozesse sind, wird die Digitalisierung hier grosse Neuerungen anstossen. Ein Kunde wird auf einfachere Weise den geeigneten Finanzierungspartner finden. Das bringt Transparenz und zwingt Banken, Versicherungen sowie Pensionskassen, mit den Zinsen ans Limit zu gehen.
Ist das heute noch nicht der Fall?
Wir sehen teilweise Banken, die sehr hohe Zinsen publizieren und dann einen grossen Rabatt anbieten, um den Kunden nicht zu verlieren. Ob das vertrauenerweckend ist, ist fraglich. Viele Banken fahren zudem mit ihren Online-Angeboten eine separate Strategie, um sich das Schaltergeschäft nicht kaputt zu machen.
Banken profitieren doch auch davon, dass das Vorsorge- und Finanzwissen in der Schweiz immer noch relativ bescheiden ist.
Jahrzehntelang empfahlen Schweizer Banken nur die eigenen Produkte. Aber das ist keine neutrale Beratung und auch keine Aufklärung hinsichtlich der Höhe der Kosten. Somit war es nie im Sinne der Finanzindustrie, den Kunden das nötige Wissen zu vermitteln.
Das heisst, es geht den Banken immer noch zu gut?
Das Geschäft ist immer noch zu interessant. Viele Kunden wissen nicht, wie viel sie sparen könnten. Doch die Wertschöpfungskette bei Finanzdienstleistungen wird früher oder später aufgebrochen werden. Gerade bei Hypotheken- oder Vorsorgeberatungen stehen Banken vor der Entscheidung, welche Rolle sie künftig spielen wollen: Kunden beraten oder Produkte verkaufen?
Die Altersvorsorge ist laut einer Studie die Hauptsorge von Schweizer Jugendlichen. Zu Recht?
Die Schweiz hat ein sehr gutes und gesundes Vorsorgesystem. Wir klagen auf hohem Niveau. Gleichzeitig haben wir Angst, das Erreichte zu verlieren. Die Sorgen sind also verständlich. Schliesslich ist es eine politische Frage, wie die Vorsorgewerke in Zukunft ausgestaltet werden. Wichtiger ist mir deshalb, dass wir Sorge zur Wirtschaft tragen. Dann werden Arbeitsplätze geschaffen und die Menschen sind in der Lage, in die Vorsorge einzuzahlen.
Was können junge Menschen im Hinblick auf die Vorsorge unternehmen?
Es macht Sinn, alle paar Jahre die Einkommenssituation und die Sparquote zu überprüfen. Man kann schon ab 40 Jahren ungefähr abschätzen, wie sich die AHV- und die Pensionskassenrente entwickeln, wenn das Einkommen stabil bleibt. Weicht das stark von den eigenen Erwartungen ab, kann man früh Gegensteuer geben.
Sollte man auch früh mit Aktien-Investments beginnen?
In Bezug auf die Altersvorsorge auf jeden Fall. Denn bei Aktien ist der Zeithorizont entscheidend. Braucht man das gesparte Geld mehr als 15 Jahre nicht, sind Aktien sinnvoll. Dabei empfehle ich eine breite Diversifikation, wenig Aktivismus und tiefe Gebühren. Möchte man sich hingegen in fünf Jahren ein Haus kaufen, sind Aktien die falsche Anlage.
Welches ist der häufigste Vorsorgefehler in der Schweiz?
Häufig wird in jungen Jahren eine gemischte Lebensversicherung abgeschlossen, ohne Berücksichtigung der finanziellen Situation. Später folgt dann meist die Erkenntnis: Ich brauche diesen Schutz gar nicht, weil ich keine Familie oder kein Haus habe. Doch der Vertrag läuft über 30 Jahre und die Beiträge sind sehr hoch. In jungen Jahren sollte man sich nicht zu lange binden. Denn das Leben kommt meistens anders, als man erwartet.
*Nach einer Banklehre bei der UBS arbeitete Florian Schubiger (39) in verschiedenen Abteilungen der Grossbank. Er ist Mitgründer der Vermögenspartner AG, die spezialisiert ist auf unabhängige Finanz- und Hypothekarberatung sowie Vermögensverwaltung. Das Unternehmen beschäftigt neun Mitarbeitende an drei Standorten. Schubiger studierte Betriebsökonomie an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW).